Gefahrgutunfall in Mannheim – Chronologie des Versagens

Es dürfte sich um eines der ersten Fotos vom Einsatzort handeln: Im Contargo-Containerterminal am Mühlauhafen steigt weißer Rauch auf. Noch sind keine Einsatzkräfte am Einsatzort zu erkennen.Foto: Screenshot rnf

Am 23. August 2022 kommt es in den Nachmittagsstunden zu einem Gefahrgutunfall im Mannheimer Handelshafen: Aus einem Überseecontainer steigt gelblich-weißer Rauch auf. Mehr als 200 Einsatzkräfte werden später im Großeinsatz sein, um eine ablaufende Reaktion in dem Container zu stoppen.

Schnell wird klar, dass auch eine Gefahr für die Bevölkerung besteht: Für die Arbeiter bei der betroffenen Firma ebenso wie auch für die in anderen Firmen in dem Hafenbezirk. Und insbesondere auch für die Bevölkerung in den angrenzenden Stadtteilen. Umgehend werden erste Absperrmaßnahmen und Evakuierungen durchgeführt, erstmalig in der Geschichte Mannheims wird nach einem Unfall der chemischen Industrie Sirenenalarm ausgelöst.

Einsatzkräfte der Feuerwehr unter Atemschutz nähern sich dem havarierten Container: Rechts unterhalb von der großen Laterne in der Bildmitte sind Einsatzkräfte zu erkennen. Foto: PR-Video

Beim Bevölkerungsschutz kommt es allerdings zu einer Vielzahl von Fehlern, Falschmeldungen und Versäumnissen der Behörden. Die reagierten vielfach zu spät, haben sich teilweise widersprochen oder gaben gegenteilige und falsche Informationen weiter und wirkten vielfach schlichtweg überfordert – mangels Kenntnissen über das richtige Verhalten und die richtige Kommunikation bei einem Großschadensereignis der chemischen Industrie.

Die Teitelseite der sogenannten Störfall-Broschüre, die in einer aktualisierten Version im Januar an alle 270.000 Haushalte im Stadtgebiet von Mannheim und Ludwigshafen verteilt wurde.

Und auch die Bevölkerung reagiert vielfach falsch. Noch im Januar erhielt jeder Haushalt eine Broschüre mit dem Titel „Verhalten bei Störfällen, Informationen nach Störfall-Verordnung“, die Angaben zum richtigen Verhalten bei einem Schadensereignis mit Gefahrgut in vielen Sprachen vermitteln soll. Was gemäß dieser sogenannten Störfall-Broschüre aber im Alarmfalle konkret zu tun (und nicht zu tun) ist, war offenbar nicht allen Beteiligten bekannt.

Mit der Störfallbroschüre in der Hand verweist der für Sicherheit und Ordnung in Mannheim zuständige Erste Bürgermeister Christian Specht (CDU) in einer Pressekonferenz eine Woche nach dem Gefahrgutunfall auf die Wichtigkeit der Broschüre. Foto: Dieter Leder

Das gesamte Ausmaß des Versagens wird in einer chronologischen Auflistung der Ereignisse deutlich. Längst sind nicht alle Details bekannt, denn offenbar haben die Beteiligten mittlerweile erkannt, dass es beim Bevölkerungsschutz zu massiven Fehlern und Versäumnissen gekommen ist: Die Behörden geben derzeit keine weiteren Auskünfte mehr über zeitliche Abläufe beim Bevölkerungsschutz.

Die Chronologie soll daher helfen zu verstehen, was im Zuge des Gefahrgutunfalls vom 23. August im Bezug auf den Bevölkerungsschutz nicht funktionierte. Es geht hierbei nicht um die Aufarbeitung der Arbeit der Einsatzkräfte vor Ort am Container, es geht auch nicht um die Frage über die Ursache des Unglücks (Über eine mögliche Ursache hatte 6800.info schon gleich nach dem Unfall berichtet). Angaben in kursiv sind persönliche Kommentare des Autors.

23. August 2022

14.30 Uhr: Schwefelgeruch liegt in der Luft
Arbeiter im Mannheimer Hafen 1 (Handelshafen) bemerken einen beißenden und nach Schwefel riechenden Geruch in der Luft. Die Herkunft können sie zunächst nicht lokalisieren.

14.39 Uhr: Alarmierung der Einsatzkräfte
Beim Logistik-Dienstleister Contargo in der Werfthallenstraße tritt weißer Rauch aus dort gelagerten Containern aus. Einsatzkräfte werden alarmiert.

14.45 Uhr: Beginn der Evakuierungen
Zuerst am Einsatzort eintreffende Polizeibeamte beginnen mit der Absperrung des Einsatzortes und der Räumung von direkt angrenzenden Betrieben.

14.49 Uhr: Erste Feuerwehrfahrzeuge am Einsatzort
Die ersten Feuerwehrfahrzeuge treffen am Einsatzort ein.

15.00 Uhr: Möglicher Großeinsatz
Kolonnen von Einsatzfahrzeugen rasen unter Blaulicht durch die Stadt in Richtung Hafen. Deren Martinshörner sind im gesamten Stadtgebiet deutlich zu hören. Spätestens da ist vielen bereits klar, dass es in Mannheim zu einem größeren Vorfall gekommen war, der einen Großeinsatz ausgelöst haben muss.

Am Container-Kran hängt der haverierte Container, aus dem auf der Unterseite und rechts oben starker Rauch austritt. Foto: PR-Video

Vor 15.30 Uhr: Havarierter Container wird isoliert
Mit dem Container-Kran gelingt es, den stark rauchenden Container zu greifen und aus dem Lager herauszuheben. Schon bei dieser Aktion zeigen sich starke Beschädigungen am Container: Aus der Unterseite und aus der rechten Seite dringt starker gelblich-weißer Rauch.

Auf dem havarierten Container klebt auf jeder Seite in der linken unteren Ecke ein Gefahrenzettel, der über den Inhalt des Containers informiert.

Vor 15.30 Uhr: Inhalt des Containers ist schon früh bekannt
Gemäß dem UN-Gefahrenzettel mit der Nummer 1384 auf der linken unteren Seite des Containers handelt es sich bei der Ladung um Hydrosulfit, auch bekannt unter den Namen Natriumdithionit oder Natriumhydrosulfit. Das ist ein fester Stoff, der leicht und spontan entzündbar sowie selbsterhitzungsfähig ist. Bei starker Erwärmung oder beim Brand kann es zum Druckanstieg und Bersten der Transportbehälter kommen. Bei der Erwärmung und beim Brand entwickelt Hydrosulfit giftige und reizende Dämpfe: Es entsteht unter anderem Schwefeldioxid, ein schleimhautreizendes, stechend riechendes und sauer schmeckendes, giftiges Gas, das wiederum beim Kontakt mit Wasser die stark ätzende Schwefelsäure bildet.

Aus einem seitlichen Loch in der Containerwand schießt gelber Rauch heraus (rot im Bild markiert) und zeigt, wie sehr der Container unter Druck steht. Die Feuerwehr kühlt bereits den Container mit einem Wasserstrahl. Bis zur Öffnung des Containers am 31. August und dem Ende des Einsatzes am 2. September verbleibt der Container an dieser Stelle. Foto: Freiwillige Feuerwehr Mannheim, Abteilung Neckarau.

Vor 15.30 Uhr: Zunahme der chemischen Reaktion
Der havarierte Container wird umgehend auf der Straße neben den gelagerten Containern abgestellt. Der Container steht unter starkem Druck und verformt sich, er droht zu bersten. Die Feuerwehr beginnt, den Container mit Wasser zu kühlen.

Blick von Ludwigshafen auf die nach dem Gefahrgutunfall im Mannheimer Hafen aufsteigende Schwefelwolke. Foto: Eleonora Tufano

Ab 15.30 Uhr: Rauchwolken über dem Hafengebiet
Durch die Umsetzung des Containers sowie durch die offenbar weiter zunehmende chemische Reaktion im Innern tritt deutlich mehr Rauch aus. Über dem Hafengebiet stehen etwa 150 Meter hohe gelblich-weiße Wolken.

Blick von der Überleitung vom Luisenring zum Parkring in Mannheim über die Kurt-Schumacher-Brücke zur Unglücksstelle im Mühlauhafen: Während sich die erste schweflig-weiße Wolke gerade verzieht, steigt in einer massiven Wolke neuer gelblich-schwefelig-weißer Rauch auf. Die Kurt-Schumacher-Brücke ist zu diesem zeitpunkt bereits gesperrt, es sind keine Fahrzeuge mehr darauf zu erkennen. Foto: Screenshot rnf

15.32 Uhr: Erste Pressemitteilung der Polizei Mannheim
Die Polizei teilt akkreditierten Pressevertretern per E-Mail sowie auf dem Presseportal mit, dass sich aktuell Einsatzkräfte im Großeinsatz in der Werfthallenstraße befinden, es sei zu einem Austritt von Gefahrgut gekommen. Die ausgetretene Flüssigkeit kann giftige und reizende Dämpfe entwickeln. Der Bereich rund um den Handelshafen ist für den Verkehr gesperrt. Auch umliegende Brücken werden abgesperrt. Anwohner im Bereich Mannheim-Jungbusch und Mannheim-Neckarstadt werden gebeten Fenster und Türen geschlossen zu halten. Personen im nahegelegenen Bereich des Geschehens werden gebeten diesen zu verlassen. Es kann zudem zu Behinderungen im Bahnverkehr kommen.

– Pressevertreter sind damit die ersten, die von dem Gefahrgutaustritt sowie den Folgen und den Verhaltenshinweisen erfahren – also noch vor den Betroffenen vor Ort und in den Stadtteilen.
– Eine Warnung über die gemäß der Störfall-Broschüre genannten Wege wie Sirenenalarm, Warn-Apps oder Lautsprecherdurchsagen erfolgt nicht.
– Die Meldung enthält zudem Handlungsempfehlungen für Anwohner in der gesamten Neckarstadt – es wird nicht von Neckarstadt-West oder Neckarstadt-Ost gesprochen. Ob tatsächlich die Handlungsempfehlung die gesamte Neckarstadt betrifft oder die Meldung unklar formuliert war, wird geklärt werden müssen.
– Zudem werden Personen „im nahegelegenen Bereich des Geschehens“ gebeten, diesen zu verlassen. Welcher Bereich damit nun genau gemeint ist oder als nahegelegen definiert ist, ist nicht klar ersichtlich: Das kann ein Bereich direkt um den Einsatzort sein oder auch der Bereich, in dem Fenster und Türen geschlossen zu halten sind, also die Neckarstadt und der Jungbusch.
– Ferner teilt die Polizei fälschlicherweise mit, dass eine Flüssigkeit ausgetreten sei – tatsächlich aber handelt es sich um ein Pulver, das reagiert und dabei gefährliche Dämpfe freisetzt.

15.38 Uhr: Erstmeldung für die Öffentlichkeit – Polizei via Twitter
Etwa eine Stunde nach Alarmierung gibt es erstmalig Informationen für die Öffentlichkeit. Die Polizei Mannheim informiert über den Kurznachrichtendienst Twitter, dass es in der Werfthallenstraße zu einem Gefahrgutaustritt gekommen sei. Der Bereich um den Handelshafen ist gesperrt, sie bittet, den Bereich zu verlassen. Im Jungbusch und der Neckarstadt sollen die Bewohner Fenster und Türen geschlossen halten.

– Wieder werden Handlungsempfehlungen und Warnungen auf anderen Wegen kommuniziert, als auf den gemäß Störfall-Broschüre vorgesehenen Kanälen: Soziale Medien sind demnach nicht als Warnelement beschrieben.
Noch immer gibt es keine offizielle Warnung. gemäß Störfall-Broschüre.
– Die Follower des Twitter-Kanals erfahen zudem nicht, dass die ausgetretenen Stoffe giftig und reizend sind
– Ebenso wird auch nicht über Einschränkungen im Verkehr informiert.
– In der Mitteilung via Twitter wird auch wieder die gesamte Neckarstadt genannt, in der Fenster und Türen geschlossen zu halten sind.

15.48 Uhr: KATWARN und NINA sollen ausgelöst werden
Die Polizei teilt weiter mit, dass sie davon ausgeht, dass die Warn- und Notfall-Apps KATWARN und NINA ausgelöst werden.

-Warum Behörden mitteilen, dass die Warn-Apps ausgelöst werden sollen, aber trotz des seit einer Stunde laufenden Großeinsatzes noch immer nicht ausgelöst sind, werden die Behörden noch erklären müssen.

16.00 Uhr: Die Westliche Riedbahn wird gesperrt
Auf Anordnung der Bundespolizei sperrt die Deutsche Bahn AG die Westliche Riedbahn zwischen dem Mannheimer Hauptbahnhof und Mannheim-Waldhof für den gesamten Bahnverkehr.

16.11 Uhr: Warn-Apps, erster Alarm
Die Stadt Mannheim löst die Warn-Apps NINA und KATWARN aus. Gemäß der Alarmierung sind im Mühlauhafen im Jungbusch Gefahrstoffe ausgetreten, eine Rauchsäule ist zu beobachten. Fenster und Türen sollen geschlossen gehalten werden, es soll auf Lautsprecherdurchsagen geachtet werden. Betroffen sind gemäß Text nur die Neckarstadt-West und der Jungbusch. Auf der angezeigten Landkarte in den Warn-Apps ist zudem auch noch die westliche Innenstadt sowie der Herzogenried und südliche Teile vom Stadtteil Luzenberg als Gefahrgebiet markiert. Es erscheint ein Hinweis auf die Webseite der Stadt Mannheim.

Die KATWARN-Meldung von 16.11 Uhr.

– Seit anderthalb Stunden läuft nach einem Gefahrgutunfall ein Großeinsatz der Einsatzkräfte mit Evakuierungen und großflächigen Sperrungen und Einschränkungen für die Bevölkerung. Dass erst nach anderthalb Stunden die Warn-Apps auslösen, ist viel zu spät.
– Im Vergleich zu der Pressemitteilung der Polizei fehlen einige Warnungen in der Warn-App: So ist die Aufforderung zum Verlassen von betroffenen Gebieten nicht Teil der Gefahrenmeldung in den Warn-Apps.
– Im Vergleich zu vorherigen polizeilichen Meldungen bezieht sich die textliche Warn-App-Meldung nur auf die Neckarstadt-West, nicht aber auf die gesamte Neckarstadt.
– Gemäß Landkarte der Warn-App ist auch die westliche Innenstadt betroffen, das sind die Quadrate von A bis K, der Bereich vor dem Mannheimer Schloss, die Bereiche der Universität bis zu den L-Quadraten sowie auch die Auffahrten zur Konrad-Adenauer-Brücke. Diese Bereiche werden durch die Warn-Apps erstmals als Gefahrengebiet ausgewiesen.

– Zudem ist gemäß der Karte auch der Stadtteil Herzogenried sowie südliche Bereiche des Stadteils Luzenberg als Gefahrengebiet ausgewiesen.
– Es sind gemäß Warnung Gefahrstoffe ausgetreten, also mehr als ein Gefahrstoff: Der Gefahrstoff steht im Plural.
– Dass die Stoffe giftig und reizend sind, wird nicht genannt.

– Dass die Bevölkerung einige Bereiche verlassen muss, wird in den Warn-Apps ebenfalls nicht kommuniziert.

Detailansicht der KATWARN-Meldung von 16.11 Uhr: Gemäß Stadtplan sind auch die westliche Innestadt inklusive Schloss und Universität sowie die Auffahrten zur Konrad-Adenauer-Brücke als Gefahrgebiet markiert, ebenso wie auch der Stadtteil Herzogenried und südliche Teile des Stadtteils Luzenberg.

16.16 Uhr: Erstmeldung der Feuerwehr Mannheim
Auf Twitter teilt die Feuerwehr mit, dass es im Mühlauhafen zu einem Gefahrgutaustritt gekommen sei. Wegen einer Rauchsäule sind in der Neckarstadt und im Jungbusch vorsorglich Fenster und Türen geschlossen zu halten. Im Bereich des Hafens kommt es zu vereinzelten Straßensperrungen.

– Im Vergleich zu den vorherigen Meldungen scheint die Feuerwehr offenbar die Gefahrenlage herunterzuspielen: Während die Polizei informierte, dass der Bereich um den Hafen für den Verkehr gesperrt ist, meldet die Feuerwehr nur vereinzelte Straßensperrungen. Ferner meldet die Feuerwehr, dass in den betroffenen Bereichen Fenster und Türen nur „vorsorglich“ geschlossen zu halten sind. Dadurch kann der Eindruck entstehen, dass wohl keine direkte Gefahr ausgeht und es sich nur um eine Vorsichtsmaßnahme handeln könne.
– Im Gegensatz zu den Warn-Apps warnt die Feuerwehr wieder die gesamte Neckarstadt, Ost wie West.
– Im Gegensatz zu den Warn-Apps gilt die Feuerwehr-Warnung auch nicht in den genannten Bereichen der Innenstadt, Luzenberg und Herzogenried.
– Viele weitere Details nennt die Feuerwehr nicht: Kein Wort zur Giftigkeit, kein Wort über das Verlassen des Gefahrenbereichs.

Nach 16.16 Uhr: Die Stadt retweetet die obige Meldung der Feuerwehr
Der Tweet der Feuerwehr von 16.16 Uhr wird vom Social-Media-Team der Stadt Mannheim geteilt und steht damit auch den Twitter-Followern und Lesern des Twitter-Auftritts der Stadt Mannheim zur Verfügung – mitsamt aller Abweichungen zu den vorherigen Meldungen anderer Behörden. Es ist die erste Meldung der Stadt Mannheim in den Sozialen Medien zu dem Gefahrgutunfall.

16.37 Uhr: Umleitungen und Sperrungen bei der rnv
Die Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (rnv) informiert, dass es auf diversen Straßenbahn- und Buslinien auf Grund des Gefahrgutaustritts zu Umleitungen und Streckensperrungen kommt.

– Warum Fentser und Türen geschlossen zu halten sind, aber gleichzeitig Busse und Bahnen weiter Menschen in den Gefahrengebieten transportieren, wird noch zu klären sein.

16.40 Uhr: Rangierbetrieb im Hafen wird eingestellt
Da das Stellwerk im Hafen auf polizeiliche Anweisung geräumt und die Mitarbeiter den Bereich verlassen mussten, muss der Rangierbetrieb im gesamten Handelshafen eingestellt werden.

17.21 Uhr: Einschränkungen auch in Ludwigshafen
Die rnv fährt wegen dem Gefahrgutunfall in Mannheim die in Ludwigshafen gelegene Haltestelle Rheingalerie nicht mehr an.

17.30 Uhr: Die Polizei beginnt mit Evakuierungen im Jungbusch

Gegen 17.30 Uhr: Erstmeldung der Stadt Mannheim
Gegen 17.30 Uhr erscheint beim Aufrufen der Webseite der Stadt Mannheim ein Pop Up-Fenster, in dem die Stadt darüber informiert, dass aufgrund eines Gefahrgutaustritts im Mannheimer Mühlauhafen es aktuell zu einer starken Geruchsbelästigung kommt. Betroffen sind die Stadtteile Jungbusch, Innenstadt und Neckarstadt West. Anwohner werden gebeten, Türen und Fenster geschlossen zu halten und die Gebäude nicht zu verlassen. Personen, die den betroffenen Bereich verlassen müssen, werden von der Polizei vor Ort entsprechend informiert.

Das rote Pop-Up-Fenster, das anfänglich auf der Webseite der Stadt Mannheim über den Gefahrgutunfall informierte.

– Dass die Stadt Mannheim erst drei Stunden nach Alarmierung und erst knappe anderthalb Stunden nach erstmaliger Auslösung der Warn-Apps über den Großeinsatz auf ihrer Webseite informiert, ist zu spät. Dabei sollte es im Notfall auf der Webseite der Stadt Mannheim „schnellstmöglich Informationen über die Lage und notwendige Schutzmaßnahmen“ geben, wie es in der Störfallbroschüre heißt. Das hat nicht funktioniert.
– Die Stadt warnt schon fast fahrlässig verharmlosend lediglich vor einer starken Geruchsbelästigung. Sie warnt aber nicht davor, dass der Stoff giftig und reizend ist.
– Das Unglück scheint sich offenbar dramatisch zu verschlimmern, denn die Maßnahmen werden gegenüber der Warn-App Meldung von 16.11 Uhr offenbar verschärft: Erstmalig werden Anwohner über einen offiziellen Warnkanal gebeten, die Gebäude in den genannten Stadtteilen nicht mehr zu verlassen. Erstmalig wird offiziell auch kommuniziert, dass es zu Evakuierungen kommt.

17.33 Uhr: Stau in der gesamten Stadt
Die Polizei informiert, dass es im gesamten Stadtgebiet in Mannheim zu massiven Staus kommt. Wer nicht in die Stadt muss, soll den Bereich umfahren.

17.34 Uhr: Warn-Apps, zweiter Alarm
Auf den Landkarten der Warn-Apps ist mit der zweiten Alarmierung nunmehr das gesamte Stadtgebiet von Mannheim als Gefahrengebiet rot markiert: Von Kirschgartshausen im Norden bis kurz vor Viernheim im Osten und im Süden bis Rheinau-Süd. Die Stadt Mannheim meldet über die Warn-Apps textlich, dass es in den Stadtteilen Jungbusch, Innenstadt und Neckarstadt-West nach einem Schadstoffunfall zu Geruchsbelästigungen kommt. Die direkt betroffenen Gebiete werden evakuiert. Auf Lautsprecherdurchsagen ist zu achten. Gewarnt wird vor der Freisetzung giftiger/ätzender Stoffe, Fenster und Türen sind geschlossen zu halten, in den Stadtteilen sollen die Menschen die Gebäude nicht verlassen.

Die zweite KATWARN-Meldung von 17.34 Uhr.

– Im Vergleich zur ersten Warn-App-Warnung von 16.11 Uhr sind auf den Landkarten der zweiten Warn-Apps-Warnung nicht mehr nur Teile der Stadt rot als Gefahrenbereich markiert, nunmehr ist offenbar der Gefahrenbereich auf ganz Mannheim ausgeweitet worden. Das ist rückblickend aber eine falsche Information, die nur unnötige Sorgen und Ängste schürt.
– Mit der vermeintlichen Erweiterung der Gefahrenzone entsteht der Eindruck, dass sich die Situation nach dem Gefahrgutunfall offenbar verschlimmert haben könnte.

– Auch die Gefahrenlage durch den Stoff selber scheint sich offenbar verschlimmert zu haben: Bisher war nur von giftigen und reizenden Stoffen die Rede, nunmehr werden sie als giftig und ätzend bezeichnet. Wobei gefragt werden muss, welcher Stoff eigentlich ätzend sein soll? Weder das Gefahrgut im Container ist ätzend, noch die austretenden Reaktionsprodukte. Erst bei Kontakt mit Wasser bildet das ausgetretene Gas die stark ätzende Säure.
– Das Gefühl einer Zuspitzung der Situation und zunehmender Gefährdung wird zudem noch verstärkt durch die Meldung von Evakuierungen und der Aufforderung, die Gebäude nicht mehr zu verlassen.
– Obwohl seit Anbeginn des Einsatzes Evakuierungsmaßnahmen laufen, werden erst knappe drei Stunden später über die Warn-Apps Evakuierungsmaßnahmen gemeldet. Eigentlich sollen die Warn-Apps in solch einem Falle warnen und helfen – das taten sie viel zu spät.
– Selbiges gilt auch für die Aufforderung, Gebäude nicht zu verlassen.

– Wieder wird verharmlosend nur von einer Geruchsbelästigung gesprochen. Die aber ist giftig.
– Es wird nicht klar erklärt, was lediglich eine Geruchsbelästigung ist und ob diese bereits giftig, reizend oder ätzend ist.
– Zudem ist wieder nicht klar definiert, welche Maßnahmen sich auf welche Gebiete erstrecken: Evakuiert werden „direkt betroffene Gebiete“. Das kann dahingehend verstanden werden, dass die durch Geruchsbelästigungen betroffene Gebiete evakuiert werden. Da sich die Warnung aber auf ganz Mannheim bezieht, kann auch der Eindruck entstehen, dass in allen Stadtteilen evakuiert wird. Selbiges gilt auch für die Aufforderung, „in den Stadtteilen“ die Gebäude nicht mehr zu verlassen: In der textlichen Meldung sind andere Stadtteile als Warngebiet angegeben als in der graphischen Darstellung der Warnung.

17.42 Uhr: Sirenenalarm
In den Stadtteilen Jungbusch, Neckarstadt-West und in der Innenstadt heulen die Sirenen. Was das bedeutet, erklärt die Störfall-Broschüre: „Das Sirenensignal warnt Sie vor akuter Gefahr durch Gefahrstoffe. Begeben Sie sich sofort in geschlossene Räume und halten Sie sich nicht im Freien auf.“

Auszug aus der Störfallbroschüre zum Sirenenalarm.

– Schallwellen machen nicht an Stadtteilgrenzen halt, der Sirenenalarm ist somit nicht nur in den jeweiligen betroffenen Stadtteilen hörbar, sondern auch in vielen benachbarten Stadtteilen, in denen kein Sirenenalarm ausgelöst wurde. Das führt zu vielen Unsicherheiten.
– Mit dem Sirenenalarm ergibt sich eine neue Gefahrensituation in den drei Stadtteilen mit entsprechenden neuen Verhaltensvorschriften. Diese werden aber weder von den Behörden kommuniziert noch umgesetzt. Es ergeht beispielsweise kein neue Warnung über die Warn-Apps.
– Dass zehn Minuten nach der Ankündigung von Evakuierungen und der Warnung vor giftigen und ätzenden Stoffen durch die Warn-App auch noch die Sirenen heulen und sich Menschen nicht mehr im Freien aufhalten dürfen, lässt für den Verlauf des Unglücks nur Schlimmstes erahnen.

17.44 Uhr: Warnung der Feuerwehr
Auf Twitter warnt die Feuerwehr Mannheim, dass es in den Stadtteilen Jungbusch, Innenstadt und der Neckarstadt-West zu Geruchsbelästigungen kommt. Anwohner sollen Türen und Fenster geschlossen halten und Gebäude nicht verlassen. Die direkt betroffenen Bereiche werden durch die Polizei evakuiert.

– Wieder wird seitens der Feuerwehr verharmlosend nur von einer Geruchsbelästigung gesprochen. Dass die belästigenden Stoffe giftig und reizend sind, wird nicht genannt.
Wieder wird nicht kommuniziert, welche direkt betroffenen Bereiche evakuiert werden. Der Tweet kann einmal mehr so verstanden werden, dass alle drei genannten Stadtteile evakuiert werden.
– Die Feuerwehr veröffentlicht um 17.44 Uhr bereits veraltete und nicht mehr aktuelle Informationen: Die Informationen der Feuerwehr sind der Erstmeldung der Stadt Mannheim von 17.30 Uhr entnommen. Dass mittlerweile mit dem Sirenenalarm von 17.42 Uhr eine neue Situation eingetreten ist, kommuniziert die Feuerwehr nicht.
– Die Feuerwehr gibt damit gefährlich falsche Informationen und Verhaltensregeln heraus: Der Sirenenalarm warnt vor einer akuten Gefahr durch Gefahrenstoffe, die Feuerwehr spricht hingegen nur von einer Geruchsbelästigung. Nach dem Sirenenalarm in den drei genannten Stadtteilen dürfen sich gemäß Störfallbroschüre Menschen nicht mehr im Freien aufhalten, gemäß Feuerwehr sollen hingegen lediglich Anwohner die Gebäude nicht mehr verlassen.

17.46 Uhr: Feuerwehr informiert über den Sirenenalarm
Auf Twitter informiert die Feuerwehr, dass in den betroffenen Stadtteilen die Sirenen aktiviert wurden. Zudem verweist sie auf die Webseite der Stadt Mannheim als Informationsquelle.

– Wo genau die Sirenen aktiviert wurden, wird nicht mitgeteilt. Es kommt zu Verwirrungen, da nicht überall die Sirenen hörbar waren. Da auf den Warn-Apps weiterhin das gesamte Stadtgebiet als Gefahrenbereich angezeigt wird, gehen viele fälschlicherweise davon aus, dass in allen Stadtteilen die Sirenen aktiviert worden sein müssten.
– Der Hinweis auf die Webseite der Stadt Mannheim führt zu veralteten Informationen: Dort wird noch immer die Erstmeldung von 17.30 Uhr angezeigt.

17.48 Uhr: Klarstellung der Polizei
Die Polizei bestätigt auf Anfrage, dass sich die Warnungen nur auf den Jungbusch, die Innenstadt und die Neckarstadt beziehen.

Wieder einmal wird im Zusammenhang mit der Neckarstadt eine ungenaue Information veröffentlicht: Denn die Warnung bezieht sich nicht auf die gesamte Neckarstadt, sondern tatsächlich nur auf die Neckarstadt-West.
– Die Polizei widerspricht damit offiziellen Meldungen anderer Behörden: Die Warnungen beziehen sich beispielsweise auch auf die Innenstadt.

17.50 Uhr: Stadt richtet eigene Webseite mit Nachrichten zum Unglück ein
Neben dem Hinweis auf der Startseite bündelt die Stadt nun die Informationen zu dem Unglück auf einer eigenen speziellen Webseite.

– Dort erscheint als Erstmeldung die ehemalig Pop-UP-Information von 17.30 Uhr. Dass mittlerweile Sirenenalarm ausgelöst wurde und sich damit für die Bevölkerung eine akute Gefahrenlage eingestellt hat und die Bevölkerung sich ab sofort nicht mehr im Freien aufhalten darf, wird auf der Webseite der Stadt nicht kommuniziert.

17.58 Uhr: Stadt informiert über die Sozialen Medien
Die Stadt verweist in den Sozialen Medien auf ihre neu eingerichtete Webseite.

– Auf der Webseite allerdings stehen veraltete Informationen, die nicht mehr aktuell sind.

17.59 Uhr: Bisher nur der Handelshafen evakuiert.
Die Polizei Mannheim teilt auf Twitter mit, dass bisher nur der Handelshafen evakuiert worden ist: „Sollte der Bereich ausgeweitet werden, werden die Kollegen vor Ort und wir hier dies natürlich bekannt geben.“

– Fast zur selben Zeit melden mehrere Medien und der Pressesprecher übereinstimmend bereits angelaufene und weitreichende Evakuierungen in mehreren Stadtteilen.

18.00 Uhr: rnf meldet Evakuierungen in der Innenstadt
Das lokale Rhein-Neckar-Fernsehen (rnf) meldet, dass im Handelshafen eine toxische Flüssigkeit ausgetreten sei. Anwohner im Jungbusch und der Neckarstadt sollen Fenster und Türen geschlossen halten. Teile der Innenstadt und des Jungbuschs werden evakuiert.

– Wieder werden falsche, widersprüchliche und verwirrende informationen kommuniziert: Dass auch in der Innenstadt die Warnung gilt, wird nicht genannt. Und nach einem Sirenenalarm nur zu melden, dass Fenster und Türen geschlossen zu halten sind, ist fahrlässig.

18.00 Uhr: Polizei bei SWR Aktuell im Fernsehen: Im Radius von 1.200 Meter wird evakuiert.
Norbert Schätzle, Pressesprecher der Polizei, gibt dem SWR vor dem Mannheimer Schloss ein Interview und nennt aktuelle Informationen: Ein für die „Menschheit gefährlicher Stoff“ ist ausgetreten, der ätzend, giftig und auch explosiv ist. In einem Radius von 1.200 Meter um die Unglücksstelle wird von innen nach außen evakuiert, so der Polizeisprecher weiter: Er bezeichnet des Radius als Gefahrenbereich.

Der blau markierte Gefahrenbereich um Umkreis von 1.200 Meter um den Unglücksort.

– Trotz Sirenenalarm und der damit verbundenen Aufforderung, in den alarmierten Gebieten sofort geschlossene Räume aufzusuchen und sich nicht mehr im Freien aufzuhalten, gibt die Polizei in der Gefahrenzone im Freien noch Interviews: Das zeugt von Unkenntnis und ist ein falsches Signal an die Bevölkerung.
– In dem Interview geht es um die aktuelle Lage. Dabei wird aber nicht erwähnt, welche Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung gelten. Es wird nicht gewarnt, Fenster und Türen geschlossen zu halten und auch der Sirenenalarm mit seinen Sicherheitsmaßnahmen wird nicht kommuniziert.
– Sowohl der Nachrichtensprecher als als der Polizeisprecher geben falsche Informationen bekannt: Gemäß Sicherheitsdatenblatt der BASF handelt es sich bei dem Gefahrstoff weder um eine Flüssigkeit, noch ist er ätzend oder explosiv.
– Ein Evakuierungsradius von 1.200 Metern um den Ereignisort würde bedeuten, dass der Jungbusch nahezu komplett evakuiert wird, in der Neckarstadt-West der Bereich südlich der Mittelstraße und in der Innenstadt etwa der Bereich westlich der Breiten Straße ab dem dritten Quadrat der Quadrate A bis K. In Ludwigshafen wäre ein Gebiet vom Zollhof über den Hemshof bis fast zum Feierabendhaus betroffen, auch die Rheingalerie liegt im Evakuierungsgebiet.

Wieder erfährt die Öffentlichkeit Neuigkeiten zur Lage über die Presse und nicht über die dafür vorgesehenen Kommunikationsmöglichkeiten.

18.07 Uhr: Die Polizei schickt Bürger zu Fuß in den Gefahrenbereich
Auf eine in den Sozialen Medien an die Polizei Mannheim gestellte Frage, ob vom Hauptbahnhof kommend der Wohnsitz in C7 in der Innenstadt überhaupt noch zu erreichen ist und was dabei zu beachten ist, antwortet die Polizei: Vom Hauptbahnhof „am besten zu Fuß weiter, da es im ÖPNV und im Straßenverkehr natürlich stockt und zahlreiche Umleitungen/Stau gibt.“

– Gemäß Warn-Apps von 17.34 Uhr soll die Bevölkerung in dem angefragten Bereich die Gebäude nicht verlassen.
– Gemäß Sirenenalarm von 17.42 Uhr besteht eine akute Gefährdung und die Bevölkerung hat in dem angefragten Bereich sofort geschlossene Räume aufzusuchen und darf sich nicht mehr im Freien aufhalten.
– Gemäß Polizeiinformation von 18 Uhr wird der angefragte Bereich evakuiert. In der kürzesten Entfernung liegt C7 keine 700 Meter vom Unglücksort entfernt.
– Und dennoch schickt die Polizei Bewohner zur Vermeidung von Stau und Verspätungen zu Fuß ins Gefahren- und Evakuierungsgebiet!

18.44 Uhr: Die Bahn informiert über Streckensperrung
Feuerwehreinsatz in Mannheim-Handelshafen zwischen Mannheim und Frankfurt Hauptbahnhof bzw. Flughafen. Die Strecke ist gesperrt. Züge des Fernverkehrs werden umgeleitet und verspäten sich, der Halt in Mannheim Hauptbahnhof kann entfallen.

– Die Information der Bahn für ihre Fahrgäste kommt knappe drei Stunden, nachdem die Strecke gesperrt wurde: Viel zu spät. Im Berufverkehr wäre eine zeitnahere Information insbesondere für Pendler hilfreich gewesen.
– Für nicht-ortskundige Leser kann bei der Meldung der Eindruck entstehen, dass die gesamte Strecke zwischen Mannheim und Frankfurt gesperrt ist. Dabei ist lediglich die Westliche Riedbahn zwischen Mannheim Hauptbahnhof und Mannheim-Waldhof gesperrt.

18.48 Uhr: Gemäß Polizei ist die gesamte Innenstadt betroffen
Auf eine Frage, ob nur die westliche Innenstadt bis zum Paradeplatz betroffen sei, antwortet die Polizei auf Twitter: „Ja, die ganzen Quadrate, also auch der Paradeplatz, gehört zur Innenstadt.“

19.05 Uhr bis 19.25 Uhr: Erste Folgemeldung der Stadt Mannheim
Um 19.05 Uhr werden akkreditierte Pressevertreter von der Stadt per Mail informiert, um 19.09 Uhr informiert die Polizei ihre akkreditierten Pressevertreter, um 19.16 Uhr geht die Polizei mit der Meldung in den Sozialen Medien, eine Minute später die Feuerwehr, um 19.23 die rnv. Um 19.25 Uhr erscheint die Meldung auch auf der Sonderwebseite der Stadt Mannheim. Der Sicherheitsradius wird auf 1.300 Meter erweitert. Es kommt aktuell zu einer starken Geruchsbelästigung. Betroffen sind die Stadtteile Jungbusch, Innenstadt und Neckarstadt West. Der Verwaltungsstab der Stadt Mannheim wurde einberufen, der Sirenenalarm im betroffenen Gebiet ausgelöst. Die Berufsfeuerwehr Mannheim ist mit einem Großaufgebot im Einsatz, um den Austritt des dort gelagerten Flüssiggases zu stoppen. Anwohner werden gebeten, Türen und Fenster geschlossen zu halten und die Gebäude nicht zu verlassen. Diejenigen Personen, die den betroffenen Bereich verlassen müssen, werden von der Polizei vor Ort entsprechend informiert. Alle Zufahrtsstraßen sind derzeit gesperrt. Zudem wurde, aufgrund der Änderung der Windrichtung, auch die Kurt-Schumacher-Brücke gesperrt. Weiterhin sind Sperrungen auf dem Luisen- und dem Parkring eingerichtet. Informationen gibt es aktuell auf www.mannheim.de oder über das Bürgertelefon 0621 / 293 6370.

Der blau markierte Gefahrenbereich im nunmehr auf 1.300 Meter erweiterten Umkreis um den Unglücksort.

– Gemäß Störfallbroschüre werden schnellstmöglich Informationen auf der Webseite der Stadt zur Verfügung gestellt. Die Webseite der Stadt ist neben dem Telefon und der Verteilung von Flugblättern eine der drei angegebenen Quellen für aktuelle Informationen zur Lage. In diesem Falle aber war die Webseite der Stadt das letzte Medium der Behörden, das über die aktuelle Lage informierte.
– Dass der Sicherheitsradius von 1.200 auf 1.300 Meter erweitert wird, lässt vermuten, dass sich die Gefahrenlage verschärft.
– Dass die Feuerwehr den Austritt von Flüssiggas stoppt, ist eine falsche Meldung. Es tritt kein Flüssiggas aus.
– Es wird nur die Berufsfeuerwehr Mannheim genannt. Tatsächlich aber sind noch viel mehr Feuerwehren auch aus umliegenden Kommunen und Bundesländern im Großeinsatz.
– Ebenfalls wieder falsch ist die genannte Sicherheitsmaßnahme mit der Bitte an die Anwohner, Gebäude nicht zu verlassen. Nach einem Sirenenalarm sind sofort geschlossene Räume aufzusuchen, der Aufenthalt im Freien ist nicht mehr möglich – das wird aber nicht genannt.
– Die Stadt spricht verharmlosend wieder nur von einer Geruchsbelästigung. Gleichzeitig aber löst sie Sirenenalarm aus: Das ist das Warnsignal vor einer akuten Gefahr durch Gefahrenstoffe. Welche der beiden Meldungen ist nun die richtige?
– Die Stadt informiert, dass alle Zufahrtsstraßen derzeit gesperrt sind. Welche Zufahrtsstraßen? Die zum Hafen oder die in die genannten Stadtteile Innenstadt, Neckarstadt-West und in den Jungbusch? In der Neckarstadt-West und in den Quadraten jedenfalls sind keine Straßen gesperrt.
– Noch verwirrender wird die Meldung, dass zusätzlich zu den Sperrungen der Zufahrtsstraßen wegen geänderter Windrichtung auch noch die Kurt-Schumacher-Brücke sowie Luisen- und Parkring gesperrt sind. Die Brücke jedenfalls ist schon seit vier Stunden gesperrt, das hat die Polizei bereits um 15.32 Uhr gemeldet.
– Welche Bereiche aktuell evakuiert werden oder in Bälde evakuiert werden, schreibt die Stadt nicht. Das wäre aber eine wichtige Information, um sich auf eine Evakuierung vorzubereiten.
– Dass ein Infotelefon eingerichtet ist, wird erst vier Stunden nach dem Unfall kommuniziert.

19.23 Uhr: (Keine) Umleitungen bei der rnv
Auf Twitter weist die rnv auf die Informationen zum Gefahrgutunfall auf der Webseite der Stadt Mannheim hin. Zudem komme es zu Umleitungen im Umkreis des Gefahrenbereiches.

– Die Umleitungen der rnv betreffen nur die Linien, die direkt an das Hafengebiet reichen. Trotz seit mehreren Stunden bestehender diverser Gefahrenwarnungen der Stadt Mannheim für die gesamte Innenstadt, den Jungbusch und die Neckarstadt-West gibt es keine Umleitungen in den genannten Stadtteilen. Die rnv befördert planmäßig weiterhin (ahnungslose) Passagiere in den Gefahren- und Evakuierungsbereich hinein und hindurch.
– Während die Polizei Straßensperren wie etwa am Luisenring einrichtet, kann die Straßenbahn ungehindert an denen vorbei direkt in den Gefahrenbereich fahren.

19.30 Uhr Erster Bürgermeister und Pressesprecher der Polizei im SWR-Interview
Der SWR meldet, dass ein Radius von 1300 Meter um den Einsatzort abgesperrt ist, „dort dürfen wir nicht rein.“ Auch Norbert Schätzle, Pressesprecher der Polizei Mannheim, spricht von Absperrungen. „Wir können noch keine Entwarnung geben“, sagt er leicht optimistisch, denn die Giftwolke hat sich verflüchtigt. Es soll „im normalen Gefahrenbereich“ nur noch punktuell evakuiert werden, „Der Stoff ist bekannt“, so Schätzle zu dem Gefahrenstoff, er soll auch ätzend sein: „Ob er nun auch giftig und explosiv ist, steht noch aus.“ Christian Specht, Erster Bürgermeister von Mannheim (CDU), erklärt, dass sie schon sehr früh Großalarm ausgelöst hätten. „Unser Ziel ist es, großräumige Evakuierungen zu vermeiden.“ Sirenenalarm ist ausgelöst, die Warn-Apps sind angegangen, so Specht: „Die Bevölkerungswarnung hat funktioniert.“ Specht bestätigt ebenfalls, dass der Stoff bekannt sei aber nicht sicher ist, ob noch andere Stoffe in dem Container lagern und es zu Wechselwirkungen der Stoffe kommen könnte. Die Messstellen in der Umgebung hätten nicht angeschlagen.

– Die mit dem Sirenensignal verbundene Aufforderung, sich sofort in geschlossene Räume zu begeben und sich nicht mehr im Freien aufzuhalten, scheint noch immer nicht bei der Stadt und der Polizei angekommen zu sein: Sie geben weiterhin im Freien und in der Gefahrenzone Interviews und setzen somit ein falsches Zeichen.
– Dass Pressemedien aktueller und detaillierter informiert sind als die Webseite der Stadt, darf nicht sein.
– Die Meldung, dass der Gefahrenradius von 1.300 um den Einsatzort abgesperrt ist, ist falsch.
– Während die Stadt fast zeitgleich meldet, dass es zu einer starken Geruchsbelästigung kommt, erklären Vertreter der Stadt und der Polizei fünf Minuten später, dass die Messgeräte nicht angeschlagen haben und die Giftwolke sich verflüchtigt hätte. Welche Meldung ist nun richtig?

– Schätzle gibt falsche Informationen zu den Gefahrstoffen bekannt: Der Stoff soll ätzend sein. Das ist er aber nicht, erst mit Wasser reagiert er zu einer ätzenden Säure. Und während Schätzle noch von einer Giftwolke spricht, stellt er Infrage, ob der Stoff überhaupt giftig ist. Der ausgetretene Stoff ist auf alle Fälle giftig.
– Dass angeblich fünf Stunden nach dem Gefahrgutunfall den Behörden noch immer nicht bekannt sein soll, was für Stoffe sich in dem Container befinden, würde ein ganz schlechtes Licht auf den Versender BASF, den Logistik-Dienstleister Contargo und auch auf die beteiligten Feuerwehren werfen: Die hätten demnach einen Gefahrguttransport mit unvollständigen oder falschen Gefahrgutdokumenten durchgeführt respektive die Feuerwehren wären nicht in der Lage, diese Dokumente zeitnah einzusehen. Möglicherweise wollten die Vertreter der Stadt und der Polizei lediglich die zuvor getätigte falsche Aussage, dass der Stoff giftig und explosiv sei, relativieren: Nunmehr soll angeblich noch nicht sicher sein, was genau sich in dem Container befindet und ob die Stoffe einzeln oder in Wechselwirkung zueinander giftig oder explosiv sind. Mit der vermeintlichen Unwissenheit der Behörden wird unnötige Unsicherheit, Angst und auch ein Vertrauensverlust bei der Bevölkerung erzeugt.

19.32 Uhr: Sicherheitsradius und starke Geruchsbelästigung
Die Stadt Mannheim schreibt auf Twitter, dass der Sicherheitsradius auf 1.300 Meter erweitert wurde und es zu einer starken Geruchbelästigung komme.

– Die Meldung entspricht nicht dem, was Minuten zuvor Erster Bürgermeister Specht im SWR-Interview verkündete: Dort hieß es, die Meßgeräte hätten nicht mehr angeschlagen.
– Und noch immer wird nur vor einer Geruchsbelästigung gewarnt. Kein Wort von Giftigkeit.

19.58 Uhr: Polizei toleriert sommerliches Treiben in der Innenstadt
Die Innenstadt ist voll und gut frequentiert an diesem heißen Sommertag. In den Cafés und Restaurants in der Innenstadt geht die Bewirtung im Außenbereich weiter. Auf Anfrage hierzu schreibt die Polizei in den Sozialen Medien, dass die Warnung in der Innenstadt “bislang auch nur die Geruchsbelästigung“ betraf. Das heißt, lediglich Fenster und Türen sind geschlossen zu halten.

– Das ist fahrlässig falsch: Es besteht weiterhin eine akute Gefahrenlage, die Bevölkerung soll weiterhin die Gebäude nicht verlassen respektive sich in geschlossene Gebäude begeben.
– Auch die Polizei spricht von der Geruchsbelästigung, nicht von giftigen Dämpfen.

20.25 Uhr: Feuerwehr informiert, dass Fenster und Türen weiterhin geschlossen zu halten sind
Auf Twitter weist die Feuerwehr Mannheim darauf hin, dass Fenster und Türen weiterhin geschlossen zu halten sind.

– Warum wird nicht auf die gesamten Schutzmaßnahmen hingewiesen, etwa Gebäude nicht zu verlassen und sich nicht im Freien aufhalten?

21.00 Uhr: SWR Extra Sondersendung
Der SWR spricht in eienr Sondersendung von einem giftigen und explosiven Stoff. Schätzle, der Pressesprecher der Polizei, wird in einer offenbar schon deutlich vor 21 Uhr aufgezeichneten Sequenz zitiert, dass alle Rettungskräfte im Einsatz sind: „Wir werden evakuieren.“ Während ein SWR-Reporter vor Ort im Jungbusch von stoßweisem, immer wieder bemerkbarem beißendem Geruch spricht, erklärt der Pressesprecher in einer Live-Schaltung, dass die Messstellen Nullauskünfte liefern, es sind demnach keine Gefahrstoffe mehr in der Luft. Es gibt aktuell auch keine weiteren Evakuierungen, so die Auskunft des Polizeisprechers in einer Live-Schaltung. Mannheims Erster Bürgermeister Specht spricht von einer neuen Lage. Er nennt erstmalig Hydrosulfit als den Gefahrstoff im Container. Er kündigt an, dass der Container in der nächsten Stunde geöffnet werden soll, dann „könnte das Hydrsulfit nochmals stärker reagieren, dann könnte sich die Situation nochmals ändern.“ Die Luftmessungen würden aktuell keine erhöhten Werte liefern, so Specht.

Das um 21 Uhr in SWR-Extra eingespielte Interview, das noch bei Sonnenschein aufgezeichnet wurde und zum Zeitpunkt der Ausstrahlung um 21 Uhr nicht mehr aktuell war. Foto: Screenshot SWR-Xxtra

– Der SWR spielt zunächst ein älteres, noch bei Sonnenschein aufgezeichnetes Interview mit dem Polizeipressesprecher Schätzle ab, das längst nicht mehr den aktuellem Stand der Lage widerspiegelt. Demnach verkündete Schätzle in dem veralteten Interview: „Wir werden evakuieren.“ Bereits eine halbe Stunde vor der jetzigen Sendung hatte Schätzle (wie auch Erster Bürgermeister Specht) im SWR gesagt, dass Evakuierungen vermieden werden sollen. Wenige Augenblicke nach der alten Sonnenschein-Einspielung erklärt Schätzle dann live in der aktuellen Sendung und in der letzten Abenddämmerung, dass es aktuell keine Evakuierungen mehr gibt. Solche verwirrende Einspielungen und Vermischungen von Aussagen sind nicht sehr hilfreich in einer Sondersendung, in der sich die Bevölkerung über die Lage nach einem Gefahgutunfall informiert.

Das um 21 Uhr in SWR-Extra live gesendete Interview, das in der letzten Abenddämmerung geführt wurde. Foto: Screenshot SWR-Xxtra


– Erster Bürgermeister Specht berichtet medienwirksam live im Fernsehen über aktuelle Entwicklungen, in der sich die Situation noch verschärfen könnte, während gleichzeitig die in der Störfall-Broschüre der Stadt Mannheim als Informationsquelle für die Bevölkerung angegebene Webseite seit zwei Stunden nicht mehr aktualisiert wurde und auch nie die von Specht genannte Container-Öffnung und die mögliche Verschärfung der Situation in der nächsten Stunde erwähnen wird: Besser lassen sich gravierende Mängel am städtischen Informationsmanagement bei einem Gefahrgutunfall nicht dokumentieren.
– Offenbar kommt es weiterhin zu Geruchsbelästigungen während gleichzeitig Luftmessung keine erhöhten Werte liefern. Dieser Widerspruch hätte aufgeklärt gehört.

21.45 Uhr: SWR zum Gefahrgutunfall: Der Container wird jetzt geöffnet
Der SWR berichtet, dass es spannend wird, der Container wird jetzt geöffnet. Mannheims Erster Bürgermeister Specht sagt hingegen, dass sie gerade erst dabei sind zu besprechen, wie der Container geöffnet werden kann. Er spricht von einem wichtigen Moment, wenn der Inhalt des Containers beim Öffnen voll mit Sauerstoff reagiert. An den Messstellen wird aktuell nichts mehr gemessen, Specht sagt: „Entwarnung für die Bevölkerung.“

– Welch ein Widerspruch, mit Spannung die Reaktion des Gefahrgutes im Container mit der Außenluft zu erwarten, die weitere Giftstoffe freisetzen wird, und gleichzeitig von Entwarnung für die Bevölkerung zu sprechen.
– Welche Entwarnung für die Bevölkerung Specht meint, ist nicht klar: Dürfen Fenster und Türen in der Sommerhitze der Großstadt endlich wieder geöffnet werden? Dürfen Anwohner die Gebäude wieder verlassen? Oder wird der Sirenalarm mit der Warnung einer akuten Gefahr aufgehoben?
– Erster Bürgermeister Specht jedenfalls ist der einzige, der von Entwarnung spricht: Weder in den Warn-Apps noch in irgend einem anderen Medium wird von Entwarnung gespr
ochen.

22.35 Uhr: Zweite Folgemeldung der Stadt Mannheim
Auf ihrer Webseite informiert die Stadt über die aktuelle Lage: Nach dem Gefahrgutaustritt läuft der Großeinsatz zur Stunde weiter. Nach wie vor kommt es zu einer Geruchsbelästigung in den Stadtteilen Jungbusch, Innenstadt und Neckarstadt West. In dem Container waren knapp 200 Fässer gelagert, die mit Hydrosulfit gefüllt sind. Aktuell wird der Container nach wie vor mit Wasser gelöscht. Dadurch soll er gekühlt und die austretenden Dämpfe reduziert werden. Luftmessungen ergaben bislang keine erhöhten Werte. Anwohner der betroffenen Stadtteile werden vorsichtshalber gebeten, weiterhin Türen und Fenster geschlossen zu halten und die Gebäude nicht zu verlassen. Sollte ein Verlassen des betroffenen Bereichs erforderlich sein, wird die Polizei vor Ort entsprechend informieren. Alle Zufahrtsstraßen zum Einsatzgebiet sind weiterhin gesperrt. Der Einsatz wird vermutlich noch über die Nacht hinweg andauern. Informationen gibt es aktuell auf www.mannheim.de oder über das Bürgertelefon 0621 / 293 6370.

– Die vom Ersten Bürgermeister Specht um 21.00 sowie um 21.45 Uh über den SWR kommunizierte Entwicklungen zu den Evakuierungen, zur Öffnung des Containers sowie zur Entwarnung, spiegeln sich nicht in der zweiten Folgemeldung der Stadt von 22.35 Uhr wider.
– Der Sirenenalarm ist nicht mehr Teil der Mitteilung. Ist die Nichtnennung des Alarms eine Aufhebung des Alarms? Oder besteht weiterhin eine Gefahrenlage?

– Noch immer wird von Geruchsbelästigungen gesprochen. Kein Wort über die Gefährlichkeit.

Mittwoch, 24. August 2022

00.57 Uhr: Dritte Folgemeldung der Stadt Mannheim
Der Großeinsatz im Mühlauhafen wird auch die kommenden Stunden weiter andauern. Die Feuerwehrkräfte sind weiterhin vor Ort, um den Container zu kühlen und die Lage über die Nacht stabil zu halten. Nach wie vor kann es vereinzelt zu Geruchsbelästigungen in den Stadtteilen Jungbusch, Innenstadt und Neckarstadt West kommen. Bislang ergaben die Luftmessungen keine erhöhten Werte. AnwohnerInnen der betroffenen Stadtteile werden dennoch vorsichtshalber gebeten, Türen und Fenster weiterhin geschlossen zu halten. Die Straßensperrungen werden nun sukzessive wieder aufgehoben. Lediglich die Werfhallen- und Güterhallenstraße in unmittelbarer Nähe des Einsatzortes müssen weiterhin gesperrt bleiben. Informationen gibt es aktuell auf www.mannheim.de oder über das Bürgertelefon 0621 / 293 6370, das ab 6:30 Uhr wieder erreichbar ist.

In der Nacht kühlt die Feuerwehr den weiterhin ungeöffneten Container weiter. Foto: Dieter Leder

– Dass Straßensperrungen „sukzessive“ wieder aufgehoben werden, ist keine wirklich brauchbare Information für Verkehrsteilnehmer: Entweder ist die Straße offen oder gesperrt. Ob ein Verkehrsteilnehmer jetzt sofort durchfahren kann, ist einzig wichtig zu wissen.
– Die Prioritäten der Stadt Mannheim für den Straßenverkehr sind vielsagend erschreckend: Dass Straßensperrungen aufgehoben werden, ist die einzige Aufhebung, die die Stadt kommuniziert. Ob die Bevölkerung ihre Häuser wieder verlassen kann und ob der Sirenenalarm aufgehoben und der Aufenthalt im Freien für die Bevölkerung wieder möglich ist, kommuniziert die Stadt nicht.
– Auch ob die Sperrung des Sicherheitsradius weiter besteht und die Bevölkerung nicht hinein kann, wird ebenso wenig kommuniziert wie der aktuelle Stand zu den Evakuierungen. Auch ob die Bahn oder ob der ÖPNV wieder fährt, wird nicht mitgeteilt. Offenbar hat man es bei der Stadt versäumt, die Sperrungen außerhalb des Straßenverkehrs aufzuheben.
– Dadurch entsteht eine bizarre Situation: Als am Straßenverkehr teilnehmender ungeschützter Fahrradfahrer oder Rollerfahrer besteht wieder freie Fahrt während der Aufenthalt im Freien eigentlich nicht möglich ist, denn die Bevölkerung muss weiterhin in geschlossenen Räumen ausharren.

In der Nacht und am folgenden Morgen melden die Warn-Apps noch immer eine Gefahrenlage für das gesamte Stadtgebiet von Mannheim.

04.00 Uhr: Beginn des Berufsverkehrs
In der Region setzt langsam der Berufsverkehr ein. Doch kaum jemand weiß, was in den Morgenstunden in Mannheim los ist oder was ihn vor der Tür oder bei der Fahrt von/nach/durch Mannheim erwartet. Der Stand der Dinge ist aus Sicht der Bevölkerung folgender:

– Die Webseite der Stadt zeigt den Stand von 00.57 Uhr: Der Einsatz im Handelshafen dauert weiter an, die Feuerwehr versucht die Lage stabil zu halten. Ob der Container mittlerweile wie angekündigt geöffnet wurde und ob sich die Lage nochmals zuspitzen wird, ist nicht bekannt.
– Alarm-Apps zeigen Gefahrenstand vom Vortag von 17.34 Uhr: Die Alarm-Apps geben weiterhin eine Gefahrenlage für Gesamt-Mannheim aus, Anwohner sollen in den Stadtteilen Fenster und Türen weiterhin geschlossen halten und Gebäude nicht verlassen. Demnach ist die Lage für die Bevölkerung unverändert zum Vortag.
– Sirenenalarm: Der Sirenenalarm wurde bisher nicht aufgehoben, hierzu gibt es keine Mitteilung: Somit ist weiterhin der Aufenthalt im Freien nicht möglich, die Bevölkerung in der Innenstadt, im Jungbusch und in der Neckarstadt-West muss weiter in geschützten Räumen verweilen. Auch hier ist die Lage für die Bevölkerung somit unverändert zum Vortag.
– Sicherheitsradius: Der Sicherheitsradius von 1.300 Metern mit seinen angekündigten Absperrungen wurde bisher noch nicht aufgehoben. Er gilt somit noch immer. Auch hiermit ist die Lage für die Bevölkerung weiter unverändert zum Vortag.
– Infotelefon: Das Infotelefon der Stadt mit der Sonderrufnummer ist nicht besetzt. Erst ab 6.30 Uhr ist es wieder erreichbar.
– ÖPNV: Laut Webseite der rnv bestehen die wegen dem Gefahrgutunfall eingerichteten Streckensperrungen und Umleitungen weiterhin. Straßenbahnen und Busse fahren weiterhin nur eingeschränkt.
– Deutsche Bahn: Laut Webseite der Bahn ist die westliche Riedbahn zwischen Mannheim Hauptbahnhof und Mannheim Waldhof weiterhin gesperrt. Es kommt zu Umleitungen und Verspätungen.
– Straßenverkehr: Die Straßensperrungen sollen laut Auskunft der Stadt von 00.57 Uhr bis auf die zwei direkt betroffenen Straßen neben dem Container sukzessive aufgehoben werden. Ob alle Sperrungen damit um 4 Uhr schon aufgehoben sind oder ob vereinzelte noch bestehen und welche Strecken aktuell noch gesperrt sind, ist nicht bekannt. Tatsächlich aber sind in der Nacht die Sperrungen am Ring und auf der Rheinbrücke sowie um den Handelhafen herum wieder aufgehoben worden.

Am Morgen des 24. August zeigen sich gesamten Schäden und das gesamte Ausmaß. Auch an den Folgetagen wird der Container weiterhin von der Feuerwehr gekühlt. Foto: Dieter Leder

7.15 Uhr und 9.06 Uhr: Polizei und Feuerwehr verweisen auf Webseite der Stadt Mannheim
Anfragen in den Sozialen Median zur aktuellen Lage an die Polizei und die Feuerwehr von 7.15 und 9.06 Uhr werden auf die Webseite der Stadt Mannheim verwiesen.

– Die Webseite der Stadt Mannheim war allerdings schon am Vortag nicht aktuell und ist seit 00.57 Uhr nicht mehr aktualisiert worden. Die Webseite der Stadt gibt somit nicht den aktuellen Stand zum Gefahrguteinsatz wieder.

9.00 Uhr und 9.11 Uhr: Deutsche Bahn und rnv fahren wieder im Normalbetrieb
Die Streckensperrungen und Umleitungen sind aufgehoben.

– Offenbar haben verantwortliche Behörden endlich bemerkt, dass einige der angeordneten Sperrungen bisher nicht aufgehoben wurden. Das hätte sie schon um 00.57 Uhr veranlassen können und nicht acht Stunden später.

10.51 Uhr: Vierte Folgemeldung der Stadt – Aufhebung der zweiten Warn-App-Alarmierung
Die Stadt Mannheim teilt auf ihrer Webseite mit, dass die Bürger ihre Häuser wieder verlassen können.

– Die Stadt wird erklären müssen, warum Bürgermeister Specht um 21.45 Uhr von Entwarnung spricht, um 00.57 Uhr beginnt, Straßensperrungen aufzuheben, aber die Bevölkerung erst um 10.51 Uhr ihre Häuser wieder verlassen kann. Hat es einen driftigen Grund gegeben, dass die Bürger erst nach 10.51 Uhr ihre Häuser wieder verlassen önnen?
Die Freigabe kommt offenbar viel zu spät: Möglicherweise hat die Stadt es versäumt, die seit 16 Uhr bestehnde Alarmierung wieder aufzuheben.
– Weiterhin nicht aufgehoben ist der Sirenenalarm. Das bedeutet, dass die Bürger ihre Häuser jetzt zwar wieder verlassen können aber sofort wieder geschützte Räume aufsuchen müssen, da wegen akuter Gefahr der Aufenthalt im Freien weiterhin nicht möglich ist.

Die Teilnehmer der Pressekonferenz der Stadt Mannheim am August 2022 zu dem Gefahrgutaustritt im Mannheimer Hafen. Von links: Dr. Jürgen Schönung, Sachgebietsleiter des Klärwerks, Linda von dem Bussche, Leiterin Sicherheit & Umwelt BASF Ludwigshafen, Christian Specht, Erster Bürgermeister, Thomas Näther, Kommandant Feuerwehr Mannheim, Marco Speksnijder, Geschäftsführer von Contargo Rhein-Neckar sowie Dirk Herzbach, Polizeidirektor Polizeipräsidium Mannheim. Foto: Dieter Leder

16.00 Uhr: Pressekonferenz der Stadt Mannheim, BASF, Contargo, Polizei und Feuerwehr
Erster Bürgermeister Specht berichtet rückblickend, dass sie “Intensiv über NINA und KATWARN gewarnt” hätten. Specht erwähnt auch das neue, hochmoderne Sirenen-System: Mit dem wurde bei dem Gefahrgutunfall nur in angrenzenden Wohnbereichen gewant, also nur dort, “wo potentiell eine Gefährdung hätte entstehen können, die Gott sei Dank nicht entstanden ist.”

Specht gibt damit zu verstehen, dass er einerseits das Sirenen-System auch knappe 24 Stunden nach dem Auslösen noch immer nicht verstanden hat: Die Sirenen sind kein Warnsystem sondern vielmehr ein Alarmsystem. Die Sirenen warnen nicht vorbeugend vor einer eventuellen eintretenden potentiellen Gefährdung, wie von Specht behauptet. Gemäß Störfall-Broschüre ist das Sirenensignal vielmehr ein dringender Alarm zu einer bereits eingetretenen akuten Gefährdung, das sofortiges Handeln erfordert: „Das Sirenensignal warnt Sie vor akuter Gefahr durch Gefahrstoffe. Begeben Sie sich sofort in geschlossene Räume und halten Sie sich nicht im Freien auf”.
– Specht gibt damit weiterhin zu verstehen, dass der Sirenenalarm nicht hätte ausgelöst werden müssen. Bei dem Gefahrgutunfall hatte gemäß Specht im alarmierten Bereich lediglich eine Gefährdung entstehen können, die aber (Gott sei Dank) nicht entstanden ist. Somit hat tatsächlich keine akute Gefahr für die Bevölkerung bestanden und der Sirenenalarm hätte nicht ausgelöst werden müssen.

19.49 Uhr: Fünfte Folgemeldung der Stadt – Aufhebung des Sirenenalarms
Die Stadt teilt auf ihrer Webseite mit: Nach wie vor ergeben die Luftmessungen keine erhöhten Werte. Deshalb ist der Aufenthalt im Freien grundsätzlich unbedenklich.

– 26 Stunden nach dem Sirenenalarm oder 19 Stunden nach Rücknahme der Straßensperrungen wird der Aufenthalt im Freien wieder als unbedenklich erklärt. Die Erklärung bezieht sich offenbar auf den Sirenenalarm, der den Aufenthalt im Freien einschränkt. Die Stadt hätte damit eine der letzten Beschränkungen aufgehoben.
Auch hier wird die Stadt wieder erklären müssen, warum erst nach 19.49 Uhr der Aufenthalt im Freien wieder unbedenklich ist. Die Meldung klingt so, also ob der Aufenthalt im Freien vor 19.49 Uhr noch bedenklich war, obwohl doch die Bevölkerung schon seit 10.51 Uhr ihre Häuser hatte wieder verlassen können.
– Auch hier sieht es so aus, als ob die Stadt wieder versäumt hätte, einen Alarm zurückzunehmen.

Mittwoch 31.8.2022

17.40 Uhr: Der Container wird geöffnet

Der Container wird geöffnet (in der Bildmitte, hinter dem gelben und grünen Spezialkran): Spezialkräfte der Feuerwehr begutatchten den beschädigten und geöffneten Container und holen die ersten Fässer heraus. Foto: Dieter Leder

Donnerstag 1.9.2022

Aus aktuellem Anlass des Gefahrgutunfalls wird auf der Titelseite in der neuesten Ausgabe des Amtsblattes der Stadt Mannheim nochmals darauf hingewiesen, was im Notfall bei einem Großschadensereignis oder einem Störfall in der chemischen Industrie zu tun ist: „Auf Warnungen mit Sirenen im Stadtgebiet folgen konkrete Handlungsanweisungen über die kostenlosen Warn-Apps NINA und KATWARN sowie über die städtische Internetpräsenz www.mannheim.de

– Das ist eine grob fahrlässige und im Zweifelsfalle tödliche Falschinformation der Stadt Mannheim!
– Gemäß Störfall-Broschüre folgen bei Sirenenalarm keine Handlungsanweisungen, weder über die Warn-Apps noch auf der städtischen Webseite.
– Die Bevölkerung hat gemäß Störfall-Broschüre bei Sirenenalarm auch auf keine Handlungsanweisungen zu warten, denn es besteht bereits eine akute (Lebens-) Gefahr.

Die Bevölkerung hat bei Sirenenalarm sofort zu handeln und gemäß Störfall-Broschüre nur die eine Handlungsanweisung zu befolgen: „Begeben Sie sich sofort in geschlossene Räume und halten Sie sich nicht im Freien auf.“

Auszug aus der Störfallbroschüre zum Sirenenalarm.

Freitag 2.9.2022

11.40 Uhr: Ende des Einsatzes
Die Stadt verkündet das offizielle Ende des Gefahrguteinsatzes im Handelshafen.

– Gemäß Webseite der Staatlichen Rhein-Neckar-Hafengesellschaft Mannheim ist der Mühlauhafen aufgrund eines Unfalls derzeit für den Schiffsverkehr gesperrt. Die Anordnung vom 25. August 2022 gilt bis auf Widerruf – der Widerruf ist bis zum Erscheinen dieses Beitrags noch immer nicht erfolgt, die Sperrung gilt demnach gemäß Webseite noch immer.

Fazit:

Es ist völlig überflüssig, im Einzugsbereich von Bunge, Schokinag und Eichbaum lediglich vor einer Geruchsbelästigung zu warnen während gleichzeitig Giftstoffe durch die Luft wabern. Es ist wichtig, dass die Bevölkerung bei einem Gefahrgutunfall sofort und umfassend informiert werden muss, was passiert ist, welche akuten Gefahren wann und wo bestehen und welche Maßnahmen die Bevölkerung ergreifen soll oder muss. Der Ablauf des Bevölkerungsschutzes bei einem Großschadensereignis muss jedem bekannt sein, sowohl den Einsatzkräften als auch den Behörden und auch der Bevölkerung.
Und der Ablauf muss auch geübt werden, nicht nur von der Feuerwehr sondern von allen, auch den Behörden und der Bevölkerung. Denn nur wenn sich alle richtig verhalten, ist gewährleistet, dass bei einem chemischen Super-GAU es nicht auch noch zu einem Super-GAU in der Bevölkerung kommt.
Über die Metropolregion wachte am 23. August ein Schutzengel. Nicht jeder Gefahrstoff aber leuchtet auffallend gelb am Sommerhimmel und riecht stechend nach Schwefel. Da lagern noch ganz andere Stoffe in den Tanks und Containern: Geruchlos und unsichtbar kann der chemische Tod jederzeit kommen.
Es kann daher nicht immer nur auf den Schutzengel vertraut werden, das reicht in der Metropolregion leider nicht. Damit aus der Metropolregion kein zweites Seveso oder Bhopal wird, muss der Bevölkerungsschutz in Zukunft besser funktionieren.

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