Wenn Radfahren bei der Stadt Mannheim nur eine „untergeordnete Höflichkeit“ ist

Zwischen O2 und O3 an der Hauptpost wird die rechte Hälfte der Straße durch Baucontainer blockiert und die linke Hälfte durch Lieferverkehr. Der dort verlaufende Radweg ist nicht mehr zu benutzen, Radfahrer müssen schieben, wenn sie überhaupt noch durchkommen. Foto: Dieter Leder

Bei allen Straßenbaumaßnahmen sind auch die Belange des Radverkehrs zu beachten. So lautet einer der 21 Punkte zur Förderung des Radverkehrs, der im Jahre 2010 im Rahmen des Bicycle – Policy – Audits (BYPAD) verbindlich in Mannheim eingeführt wurde. Auch sind auf der Basis von entsprechenden Richtlinien Sicherungs- und Umleitungsmaßnahmen an Baustellen fußgänger- und fahrradfreundlich zu gestalten. Diese folgen einer einfachen Prämisse: Das Verkehrszeichen „Radfahrer absteigen“ soll bei Baustellen nicht verwendet werden, denn bei Anwendung der Richtlinien kann in aller Regel eine bessere Lösung erreicht werden.

Doch so viel Mühe macht sich die Stadt Mannheim offenbar erst gar nicht, wie die derzeitigen Baustellen in den Seitenstraßen der Planken zeigen: Mit Anwohnern sowie dem ansässigen Handel und der Gastronomie führte die Stadt im Vorfeld der Baumaßnahmen in P2/P3 bereits intensive Gespräche, „offene Kommunikation und transparenter Informationsfluss ist den Bauherren wichtig.“ Die Belange der Radfahrer hingegen hat die Stadt bei der Planung nicht berücksichtigt, Gespräche mit Radfahrern oder deren Verbänden gab es keine.

Dabei verläuft genau zwischen O2/O3 und P2/P3 eine der wichtigsten Radverbindungswege durch die Innenstadt. Während die Veloroute Rhein von der Schweizer Rheinquelle bis zur Rheinmündung in Holland sowie der Radweg Burgenstraße von Mannheim nach Bayreuth eher noch touristischen Charakter haben, ist die Plankenquerung an dieser Stelle vielmehr im lokalen Verkehr von großer Bedeutung. Denn dort können Radfahrer ganztägig und legal die Planken queren, ohne absteigen zu müssen.

Auch die Plankenquerung geht auf das 21-Punkte-BYPAD Handlungsprogramm von 2010 zurück: Für eine verbesserte Erreichbarkeit der Innenstadt für den Radverkehr „spielt die Querung der Fußgängerzone eine wichtige Rolle“, wie es damals in der Beschlussvorlage hieß. Bereits ein Jahr später war die Maßnahme umgesetzt. „Erleichterungen für den Fahrradverkehr in der Innenstadt sind uns sehr wichtig“, lobte Bürgermeister Lothar Quast bei der Eröffnung im Jahre 2011 noch die Plankenquerung, die eine „wesentliche Verbesserung“ für den Radfahrer bringen würde.

Bürgermeister Lothar Quast bei der feierlichen Eröffnung der Plankenquerung im Jahre 2011. Foto: Stadt Mannheim

Doch keine zehn Jahre später ist es vorbei mit der wesentlichen Verbesserung für Radfahrer: Nicht nur die nördliche Seitenstraße der Plankenquerung zwischen P2 und P3 ist durch städtische Baumaßnahmen blockiert, auch am südlichen Ende bei der Hauptpost zwischen O2 und O3 wird gebaut. Bei dieser privaten Baustelle ist ein Durchkommen auf Grund aufgestellter Container bei gleichzeitiger Liefertätigkeit nicht mehr möglich. In beiden Fällen wurden einfach über die bestehende Radverkehrsverbindung hinweg Baustellen eingerichtet, und das so, als würde es dort keine Radverbindung geben: Noch nicht einmal die Verkehrsschilder für die Radfahrer wurden abgehängt.

Das Sackgassen-Verkehrszeichen (rechts oben im Bild) an der Ecke Fressgasse – P2/P3 signalisiert dem Radfahrer, dass er theoretisch am Ende der Sackgasse weiterfahren dürfte: Was aber auf Grund der Baustelle nicht möglich ist. Foto: Dieter Leder

Erst mit einer Anfrage am 17. März von 6800.info kam bei der Stadt plötzlich hektische Betriebsamkeit auf und die Bereiche wurden fast über Nacht offiziell für den Radverkehr gesperrt. Die Verwaltung bat erst kurz nach Stellung der Anfrage und noch lange vor ihrer Beantwortung die Mannheimer Sektion des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club ADFC um Mitteilung an ihre Mitglieder, dass die Plankenquerung für den Radverkehr gesperrt ist: Da waren die Baustellen schon monatelang eingerichtet.

Eben so schnell und unüberlegt wurden im dortigen Bereich die Verkehrszeichen geändert, was nunmehr zu einer völlig undurchsichtigen Situation für Radfahrer führt: Die Verkehrszeichen am Anfang der Seitenstraßen mit dem Hinweis auf die für Radfahrer durchgängig (die Planken querend) befahrbare Sackgasse blieben hängen während wenige Meter dahinter das Verkehrszeichen mit den schriftlichen Hinweisen auf die Plankenquerung sowie das erlaubte Befahren der Planken am Wochenende und abends/nachts entfernt wurde. Dort besteht damit zu jeder Zeit uneingeschränkte Fußgängerzone, weder Lieferverkehr noch Radfahrer dürfen sich hinter dem Schild aufhalten.

Das Sackgassen-Verkehrszeichen (ganz oben im Bild) an der Ecke Kunststraße – O2/O3 signalisiert dem Radfahrer, dass er theoretisch am Ende der Sackgasse weiterfahren und die Planken queren dürfte. Foto: Dieter Leder
Nach wenigen Metern hinter dem Sackgassenschild hat die Stadt Mannheim dann aber doch die Durch- und Weiterfahrt zwischen O2 und O3 für Radfahrer untersagt und unter dem Fußgänger-Zonen-Schild das Schild mit dem Hinweis auf die erlaubte fahrende Querung der Planken entfernt: Ab hier gilt ausschließlich Fußgängerzone, Radfahrer müssen absteigen. Foto: Dieter Leder

Eine offizielle Umleitung für Radfahrer ist bei den Bauvorhaben nicht eingerichtet worden. Viele Radfahrer sind offenbar notgedrungen von sich aus auf die nächsten Quadrate O3/04 – P3/P4 zur fahrenden Plankenquerung ausgewichen. Dort allerdings dürfen seit je her die Radfahrer die Planken tagsüber jedoch nicht fahrend queren. Auf das verbotswidrige Verhalten der Radfahrer wurde an der städtischen Baustelle diesmal ganz schnell und vor allen Dingen kreativ reagiert: Gendergerecht heißt es auf einem selbstgebasteltem Schild „Radfahrer*in absteigen!“ und dazu wurde in Anlehnung an das amtliche Verkehrszeichen 254 „Verbot für Radfahrer“ ein neues Verkehrszeichen kreiert, dass so in der Straßenverkehrsordnung gar nicht existiert.

Gendergerecht und mit einem nicht existierenden und frei gestaltetem Verkehrszeichen (in der rechten oberen Ecke) werden Radfahrer*innen zum absteigen zwischen P3 und P4 aufgefordert. Links unten nachträglich in das Foto eingefügt ist das amtliche Verkehrszeichen 254 “Verbot für Radfahrer”. Foto: Dieter Leder

Damit setzt die Stadt die Baustellensicherung genau so um, wie sie es im vor zehn Jahren verabschiedeten 21-Punkte-Plan nicht mehr hätte tun dürfen: Statt wie gefordert gemäß den Richtlinien radfahrerfreundliche Baustellensicherungen und Umleitungen einzurichten werden die Radfahrer wie in alten Zeiten ganz einfach nur gezwungen absteigen und zu schieben. „Jede parallelverlaufende Seitenstraße kann für die Querung genutzt werden, sobald der Radfahrende absteigt und schiebt“, lautet die komplett falsche Antwort der Stadt Mannheim auf die Frage, wie Radfahrer die Baustellen zwischen den Quadraten O2/O3 und P2/P3 umfahren sollen: Gefragt war nach einer alternativen UmFAHRUNG, bei der die Radfahrer NICHT absteigen müssen.

„Natürlich kann man an anderer Stelle absteigen und über die Planken schieben“, merkt Gerd Hüttmann vom ADFC zu dieser Maßnahme kritisch an: „Es gibt allerdings auch mobilitätseingeschränkte Radfahrende, denen das Schieben schwer fällt.“ Weiterhin verweist der Vorsitzende des ADFC Mannheim auf überbreite Räder oder Gespanne, die besser nicht durch die nur 1,50 Meter breite Fußgängerpassage im Baustellenbereich geschoben werden sollten.

Aktuell sind die vier Seitenstraßen O1/O2, O2/O3, P2/P3 sowie P3/P4 durch Bautätigkeiten betroffen und zwingen nicht nur Radfahrer teilweise zu weiten Umwegen. Die Stadt empfiehlt auf andere Seitenstraßen auszuweichen, die „stehen zur Querung für Menschen mit Behinderung, mit Rollatoren, Kinderwagen oder breite schiebende Räder (Lastenräder, Räder mit Anhänger) zur Verfügung.“ Und auch mit der Sperrung der Radverkehrsverbindung über die Planken hat die Stadt keine Probleme, denn bei der handelt es sich nach deren Angaben nicht um einen Radweg. Vielmehr stellt die Plankenquerung nach Aussage der Stadt lediglich eine „untergeordnete Höflichkeit“ [sic!] für Radfahrer dar, daher wird „aus diesem Grund auf keine Umleitung verwiesen.“

Das städtische Missmanagement bei der Einrichtung von Baustellen ist kein Einzelfall, es ist vielmehr strukturiert. Seit je her schneidet Mannheim im Punkt „Führung an Baustellen“ bei den Fahrradklimatests des ADFC mit am schlechtesten ab. So auch wieder beim jüngsten Fahrradklimatest 2020, bei dem 1.112 Mannheimer Radfahrer ihre Erfahrungen protokollierten: Bei einer Gesamtnote für Mannheim von 3,9 stellt die „Führung an Baustellen“ mit einer 5,0 auch wieder das Schlusslicht dar.

Dabei kommt diese Note Mangelhaft nicht durch die Radfahrer zustande, die Verantwortlichen für die Einrichtung und Führung an Baustellen und damit für diese miserable Benotung sitzen im Rathaus: Die Note Mangelhaft gilt für die Verwaltung. Die Dummen aber sind und bleiben die Radfahrer, denn die werden auch in Zukunft an Baustellen absteigen und schieben müssen, nur weil die Verwaltung ihre eigenen Vorschriften nicht befolgt.

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