Vesperkirche – ein pazifistisches Schlachtschiff der Solidarität

Hände sind wie Gesichter. Sie sagen sehr viel über uns Menschen aus. Foto: Alexander Kästel

„Es war, und das sage ich sehr bewusst, eine Vesperkirche, wie ich sie so noch nicht erlebt habe.“ Damit meint der Mannheimer Fotograf Alexander Kästel nicht nur das bewusste Aufschließen gerade im Lockdown mit seinen besonderen Anforderungen. Die 24. Auflage der Mannheimer Vesperkirche im Januar und Februar, das „Trotzen der Armut und der Kälte, der Einsamkeit und Isolation“, wie er sie bezeichnet, hat vielmehr bei ihm nach 21 Tagen und mehr als 8.200 ausgegebene Essen deutliche Spuren hinterlassen. Als aktiver Fotograf war er Teil der Vesperkirche und dokumentierte das Leiden der Schwächsten und Ärmsten, aber auch die kleinen und großen Wunder und Momente des Glücks. „Wie eine Liebkosung der Menschheit, wie eine zu versorgende Wunde, wie ein Licht im dunklen Schatten“, so beschreibt er seine Aufnahmen, die Höhen und Tiefen, Freude und Verzweiflung gleichermaßen zu Tage bringen. Für ihn waren es zudem keine einmaligen Erlebnisse und Eindrücke die kommen und gehen, er hielt sie statt dessen fest, war gezwungen sie zu entwickeln, zu bearbeiten und in Form eines Fotos dauernd und immer wieder neu anzusehen und so jedesmal wieder zu erleben.

Vor zehn Jahren hat Pfarrer Peter Annweiler ihn spontan eingeladen, die Vesperkirche zu fotografieren. Damals, als er noch nicht einmal wusste, was die Vesperkirche überhaupt ist und er noch nicht wusste, wie sehr ihn die Vesperkirche beschäftigen und verändern würde. Es war eine neue Erfahrung für ihn, nicht nur die Armut so deutlich zu Gesicht zu bekommen, sondern auch der fotografische Umgang damit. „Ich habe wahnsinnig viel gelernt“, so Kästel über das, was ihm die Vesperkirche zurück gegeben hat: „60% meines fotografischen Könnens kommt von der Vesperkirche.“ Es geht ihm prinzipiell nicht um die Zurschaustellung, er erhebt vielmehr den Anspruch, mit seinen Fotos die Würde der Menschen zurück zu holen. Und es geht ihm darum, das Leid und die Übersehenen sichtbar zu machen. Es sind emotionale und abstrakte Fotos und Motive, mit denen jeder empathische Mensch etwas anfangen kann.

„Die Vesperkirche macht abhängig.“ Für Alexander Kästel ist die Vesperkirche nach all den Jahren zur festen Instanz geworden, wie er frei zugibt. Sie hat ihn nachhaltig geprägt, es waren wichtige Jahre und Erfahrungen. Und doch war die diesjährige Vesperkirche neu für ihn, wie er sie noch nie erlebt hat: „Den Menschen ging es dieses Jahr gefühlt noch schlechter als die Jahre zuvor“, so seine Erklärung. Seine auf seiner Webseiten-Galerie gewählten Worte und handverlesenen Fotos wirken wie eine Trauma-Bewältigung, dabei spiegeln sie nur die neue Realität wider zusammen mit der Hoffnung auf mehr Würde und Menschlichkeit: Die Vesperkirche „ist ein pazifistisches Schlachtschiff der Solidarität, sie ist, wie ich mir Gesellschaft wünsche.“

Vesperkirchen-Bildergalerie von Alexander Kästle: https://www.rentadesigner.de/vesperkirche2021

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