„Aufgrund des Impfstoffmangels können wir keine weiteren Termine für Erstimpfungen einstellen.“ Die Aussage kommt aus dem Büro des Landrates des Rhein-Neckar-Kreises und bezieht sich auf die Verfügbarkeit im Zentralen Impfzentrum des Landkreises Rhein-Neckar in Heidelberg, das in der ehemaligen Patrick-Henry-Village (PHV) untergebracht ist. Eine Buchung von Impfterminen sowohl über die offizielle Webseite www.impfterminservice.de oder über die Behördenrufnummer 116 117 ist und war in diesem Impfzentrum wochenlang nicht möglich, wie private Recherchen und Messungen ergeben haben.
Private Webseite hilft bei der Terminsuche
„Es wurden keine freien Termine in Ihrer Region gefunden. Bitte probieren Sie es später erneut.“ Diesen Satz kennt jeder, der derzeit nach einem Impftermin sucht. Und diese Antwort war nicht nur auf das Impfzentrum Heidelberg PHV beschränkt, sie kam auch permanent bei Buchungsanfragen in anderen Impfzentren, etwa vom Mannheimer Impfzentrum in der Maimarkthalle.
Solche negativen Erfahrungen der Impfwilligen beim Versuch der Buchung von Impfterminen kann auch der 17jährige Schüler Julian Ambrozy bestätigen: „Ich Frage nur die Verfügbarkeit von Impfterminen ab, welche der Patientenservice auf deren Website (www.impfterminservice.de) anbietet“, erklärt er die Funktionsweise des von ihm programmiertes Webseiten-Scriptes, das auf seiner privaten Webseite www.impfterminübersicht.de läuft. Auf seiner Seite bekommen Interessierte einen Überblick, in welchen Impfzentren aktuell Termine angeboten werden. Es ist nicht möglich, auf seiner privaten Seite einen Impftermin zu buchen, aber bei Verfügbarkeit kommt der Besucher über einen Link schnell von der privaten Webseite zur offiziellen Webseite, wo ein Termin letztlich buchbar ist, wenn nicht andere schneller waren und den Termin schon gebucht haben. Gemäß eigener Angaben hat er bereits mehr als 50 Millionen Seitenaufrufe verzeichnet und mehr als 3,5 Millionen Impftermine vermittelt.
Zur Herkunft seiner Daten erklärt Ambrozy: „Die Daten werden vom Impfzentrum abgerufen.“ Mit diesen Informationen lassen sich aber nicht nur Daten zur aktuellen kurzfristigen Terminverfügbarkeit auslesen, sondern in einer erweiterten Analyse auch generelle Aussagen zur langfristigen Terminverfügbarkeit treffen, etwa im Wochenvergleich der Impfzentren untereinander. „Es wird gemessen, wie oft das Impfzentrum Termine frei hatte“, sagt Ambrozy zu dieser erweiterten Möglichkeit.
Und da zeigt sich gemäß den Daten von Ambrozy, dass es in Heidelberg PHV schon seit Wochen keine neuen Impftermine mehr gab. Und auch die von ihm gemessene Verfügbarkeit von neuen Impfterminen in Mannheim war nur minimal.
Widersprüchliche Zahlen in Heidelberg (PHV)
Doch aus dem Büro des Landrates kam auf die Frage, wie viele neue Termine für Erstimpfungen für das Impfzentrum Heidelberg PHV denn nun wirklich eingestellt wurden, eine überraschende und den von Ambrozy gemessenen Zahlen völlig abweichende Antwort: „Im Zeitraum vom 25.-31.05.2021 waren im Zentralen Impfzentrum Heidelberg (PHV) 2.085 Ersttermine eingestellt.“
Auf den Widerspruch angesprochen verweist das Büro des Landrates auf die zuständige Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg, die sind für die offizielle Webseite www.impfterminservice.de verantwortlich. Doch dort zeigt man sich zu dem Verweis verwundert: „Wir sind in die Terminvergabe der Impfzentren nicht involviert. Wir stellen nur die Technik zur Verfügung, in diesem Fall die Rufnummer 116117 und die Onlineplattform“, wie ein Sprecher der Vereinigung klarstellt: „Das Terminmanagement obliegt den Impfzentren – und zwar komplett.“
Erst nach mehrfacher Nachfrage auf der Suche nach einer Erklärung für dieses Diskrepanz der Zahlen kam aus dem Büro des Landrates eine Antwort, in der erstmalig auch erwähnt wurde, dass keine Termine buchbar gewesen sein könnten: „Tatsächlich ist es so, dass die Termine von den Impfzentren immer einige Wochen im Voraus eingestellt werden müssen. Da diese Termine immer schnell ausgebucht sind, ist es durchaus möglich, dass in einer Woche nur wenige oder sogar keine neuen Termine in unseren Impfzentren buchbar waren (da alle bereits gebucht waren).“
In einer weiteren Antwort werden dann auch die von Ambrozy gemessenen Daten für Heidelberg PHV letztendlich bestätigt, wonach es dauerhaft keine neuen Impftermine mehr gab und gibt: „Aufgrund des Impfstoffmangels können wir seit letzter Woche keine weiteren Termine für Erstimpfungen einstellen.“
Minimale Impftermin-Verfügbarkeit In Mannheim
In Mannheim haben die privaten Messungen für die vergangenen Wochen nur eine minimale oder vereinzelte Terminverfügbarkeit ergeben. Auf wiederholte Anfragen hierzu hat die Stadt nicht reagiert. Doch ist davon auszugehen, dass auf Grund der Messergebnisse die Situation im Mannheimer Impfzentrum ähnlich der Situation in Heidelberg PHV sein dürfte: Aus Mangel an Impfdosen können gar keine neuen Termine für Erstimpfungen eingestellt werden.
Die privaten Messungen von Ambrozy erfassen nur die generelle Verfügbarkeit, nicht die Anzahl der verfügbaren Termine. Da es in den vergangenen Wochen nur vereinzelte verfügbare Termine in Mannheim gab, ließe dies den Schluss zu, dass die gemessene vereinzelte Terminverfügbarkeit nicht auf einem größeren Kontingent an Impfdosen basierte, sondern es sich vielmehr um kurzfristig abgesagte oder nicht wahrgenommene Termine aus früheren Buchungen handelte, die neu vergeben und deswegen eingestellt wurden.
In Schwäbisch Hall stehen viele Impftermine zur Verfügung
Während es in der der ersten Mai-Woche in Mannheim nur eine minimale und in Heidelberg PHV überhaupt keine Verfügbarkeit von neuen Terminen gab, waren in anderen Impfzentren im Land sehr viele Termine eingestellt und buchbar: Im Kreisimpfzentrum Wolpertshausen (Landkreis Schwäbisch Hall) beispielsweise waren an den sieben Tagen des selben Zeitraums im Schnitt etwa an zehn von 24 Stunden Termine verfügbar und buchbar.
Das Land Baden-Württemberg ist für den medizinischen Betrieb der Impfzentren verantwortlich und entscheidet auch, welches Zentrum wie viele Impfdosen zugeteilt bekommt. Noch auf dem Impfgipfel im April 2021 wurde beschlossen, dass die Verteilung des Impfstoffs auf die Impfzentren im Land, da mehr Impfstoff vorhanden ist, ausgeglichener und fairer erfolgen soll. Insbesondere die „regional angepasste Verteilung des Impfstoffs auf die Land- und Stadtkreise sollte greifen, bei der unter anderem die jeweilige Bevölkerungszahl eine Rolle spielen wird“, wie es damals nach dem Impfgipfel hieß. Nur warum einen Monat später ausgerechnet das Impfzentrum Heidelberg PHV im Rhein-Neckar-Kreis als der Landkreis mit der größten Bevölkerungszahl im Land wochenlang keine Impfdosen geliefert bekommt, wollte das zuständige Sozialministerium nicht beantworten: Die Anfrage blieb bis heute unbeantwortet.
Land zieht Impfdosen aus Mannheim ab
Gleichzeitig hat das Land als Eigentümerin der Impfdosen noch Anfang Mai 5.000 Biontech-Impfdosen aus Mannheim abgezogen und nach Ludwigsburg geliefert: „Das Sozialministerium hat damit kurzfristig die beiden Kreisimpfzentren in Ludwigsburg unterstützt, damit neue Erstimpftermine angeboten werden können“, wie die persönliche Referentin des Ludwigsburger Landrats zu dieser Aktion ausführte. Damit waren in Ludwigsburg täglich wieder 540 neue Erstimpftermine buchbar und knapp 1.100 Impfungen am Tag durchführbar.
Dass kurz danach in Mannheim, immerhin im zweitgrößten Stadtkreis des Landes, keine oder zumindest nur ganz wenige neuen Impftermine angeboten werden konnten, ist die andere Seite der Geschichte, die es gemäß dem Impfgipfel vom April eigentlich so nicht mehr hätte geben sollen: Bei 2.000 Erstimpfungen pro Woche in Mannheim hätte mit den abgezogenen Dosen noch zweieinhalb Wochen lang in Mannheim geimpft werden können.
Freie Wahl des Impfzentrums im Land: Impftourismus startet
„Es sollte das gemeinsame Ziel sein, alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig vom Wohnort, zu impfen“, so die weiteren Ausführungen der Referentin des Ludwigsburger Landrates. Und für die Mannheimer Bürger und die Bürger aus dem Rhein-Neckar-Kreis hat sie noch einen Hinweis: „Den Bürgern steht es offen, das Impfzentrum frei auszuwählen.“
Das haben mittlerweile wohl auch die Bürger aus der Metropolregion begriffen: Der Impftourismus im Land hat deutlich zugenommen, ein Großteil der Bürger aus der Metropolregion weicht jetzt schon in benachbarte Impfzentren aus und nimmt dafür weite Strecken in Kauf. Insbesondere in den nördlichen Impfzentren in Baden-Württemberg hat die Dichte an Fahrzeugen mit Mannheimer oder Heidelberger Kennzeichen deutlich zugenommen.
Stand der in diesem Beitrag gemachten Informationen: 10. Juni 2021
Update 1, 12. Juni 2021
Von Donnerstag 10. Juni 2021, 10 Uhr, bis Freitag 11. Juni 2021, 8 Uhr, waren kurzfristig in Heidelberg PHV offenbar zahlreiche neue Impftermine verfügbar, wie eine private Messung ergeben hat. Über die Hintergründe zu diesen Impfdosen und Details hierzu liegen noch keine Informationen vor. Ob das Land auf Grund der Anfrage auf die ungerechte Verteilung umgehend reagiert hat und Impfdosen nach Heidelberg lieferte, ist auch nicht bekannt: Jedenfalls ist auffällig, dass diese kurzfristige und große Verfügbarkeit nur in Heidelberg PHV gemessen wurde. Die Termine waren jedenfalls schnell vergeben, seit Freitag 8 Uhr waren keine weiteren Termine mehr verfügbar und buchbar.