Der Nahostkonflikt am Amtsgericht Mannheim – Zwischen Genozid und antisemitischer Beleidigung

Es ging lediglich um eine Beleidigung, doch die Verhandlung am Donnerstagmorgen (28. August 2025, AZ: 27 Cs 8060 Js 31356/24)) am Amtsgericht Mannheim fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Dabei hätte die Glaswand nicht zwischen Zuschauer und Prozessbeteiligten aufgestellt werden sollen, sondern vielmehr zwischen den Besuchern: Denn auf der einen Seite hatten erkennbar alle pro-palästinensischen Zuschauer Platz genommen, auf der anderen Seite alle pro-israelischen.

Bezeichnend für den ganzen Prozess war eine Begebenheit einer nach einer Pause zu spät gekommenen Zuschauerin, die dem pro-palästinensischen Lager angehört. Dort waren aber alle Stühle besetzt. Sie setzte sich jedoch nicht zu den pro-israelischen Zuschauern, dort wären noch zwei Stühle frei gewesen, sondern zwischen die Zuschauerblöcke auf den Boden. Richter Michael Eichhorn unterbrach die Verhandlung und forderte die Frau auf, sich auf einen Stuhl zu setzen. Doch statt sich schnell zwischen die pro-israelischen Zuschauer zu setzen und den Prozess nicht weiter zu unterbrechen, räumte sie einen freien Stuhl aus dem pro-israelischen Lager ins pro-palästinensische Lager und nahm “politisch korrekt” zwischen ihresgleichen Platz.

Antirassistisches und antifaschistisches Engagement läuft ins Leere

Es war bereits die zweite Verhandlung zu diesem Beleidigungsvorfall, eine Erörterung zu einer möglichen Verfahrenseinstellung blieb ergebnislos. „Genozidunterstützer, ekelhaft“, soll der Angeklagte Yannik M. auf offener Straße gegenüber zwei Personen jüdischen Glaubens geäußert haben, die daraufhin Anzeige erstatteten. Dass er seine Worte vom September 2024 selbst am Prozesstag noch als richtig ansieht, macht er sogleich im ersten Satz seiner Einlassung deutlich: „Ich bin verwundert, hier zu sitzen.“

Der Angeklagte versucht in seiner Einlassung mit seiner antirassistischen und antifaschistischen Erziehung zu punkten. Aber seine Einstellungen gegen Besatzung, Apartheid und Krieg klingen wenig glaubhaft, wenn er mit seinen einseitigen pro-palästinensischen Ansichten die Situation in Nahost auf einen reinen Täter-Opfer-Konflikt mit Guten und Bösen reduziert. Er sieht es als seine Pflicht an, sich „gegen Krieg einzusetzen und dagegen Widerstand zu leisten“ und er stellt sich Menschen entgegen, “die den Krieg unterstützen, die den Völkermord unterstützen“. Doch dann wäre es sinnvoll, nicht nur Israel anzuprangern, sondern auch die Rolle der Hamas und des palästinensischen Widerstands kritisch zu hinterfragen und nicht demonstrativ mit einer palästinensischen Kufiya auf der Anklagebank zu sitzen.

Seine fraglichen Äußerungen gegen die beiden Personen jüdischen Glaubens begründet er zum einen mit deren Nähe zur Deutsch-Israelischen Gesellschaft und insbesondere auch mit deren Ansichten zum Nahostkonflikt: Die „leugnen das Abschlachten in Gaza.“ Sowohl die Deutsch-Israelische Gesellschaft als auch die beiden Opfer sollen nach Ansicht des Angeklagten zudem rassistische Vorbehalte gegen Geflüchtete haben.

Deutsch-Israelische Gesellschaft im Fokus der Verteidigung

Die Strategie der Verteidigung übernimmt die einseitige, pro-palästinensische Sichtweise des Angeklagten und baut darauf auf. Mit einem halben Dutzend Beweisanträge versucht Verteidiger Alexander Gorski, die Genozidunterstützung als Tatsachenbehauptung einzustufen. Dazu zitiert er die Vereinten Nationen, Amnesty International oder auch den Internationalen Gerichtshof, die einen Genozid in Palästina als gegeben ansehen. Die Verteidigung nimmt auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft als zentrales Element in ihre Strategie mit auf und vermittelt im Laufe der Verhandlung und insbesondere bei der Zeugenvernehmung fast schon den Eindruck, als sei diese Gesellschaft nah an einer Terrororganisation, von der man sich fernhalten müsse.

Spätestens mit der Zeugenvernehmung bricht die Verteidigungsstrategie allerdings sehr früh zusammen, denn beide als Genozidunterstützer bezeichneten Opfer geben in ihren Zeugenaussagen an, nicht einmal Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zu sein. Zudem würden sie nicht alle Äußerungen der Gesellschaft unterstützen. Zwar waren damals, als die Beleidigungen fielen, auch Mitglieder besagter Gesellschaft vor Ort, doch beide Zeugen können ein Missverständnis in den Vernehmungsprotokollen aufklären: Beide waren als unabhängige Beobachter damals vor Ort und nicht im Zusammenhang mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.

Vom Beobachter zur Zielscheibe

Die beiden Zeugen und Opfer der zur Anzeige gebrachten Beleidigung sind wie auch der Beschuldigte keine Unbekannten bei den zahlreichen pro-israelischen und pro-palästinensischen Kundgebungen in Mannheim seit Oktober 2023. Opfer und Zeuge Benny S. ist ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Mannheim, Amnon S. ist der derzeitige Kantor der Gemeinde.

Sie gehen oft als Beobachter zu den pro-palästinensischen Demonstrationen oder unterstützen Mahnwachen, da das Existenzrecht Israels auf den pro-palästinensischen Veranstaltungen aberkannt würde: Sie würden die Straße denen nicht überlassen, so Amnon S bei seiner Befragung.

In der Bildmitte: Amnon S. zwischen Polizisten bei einer pro-israelischen Mahnwache Anfang August 2025. Das Foto entstand beim Vorbeizug einer pro-palästinensischen Demonstration. Foto: Dieter Leder

Damit werden sie zur Zielscheibe, wie Amnon S. auch klar sagt: „Ich stehe am Rand, und muss nicht viel mehr machen, um beleidigt zu werden.“ Bisweilen geht die palästinensische Aggression aber auch über Beleidigungen hinaus, wie der Zeuge Benny S. Ende Juli am eigenen Leib erfahren musste: Als Beobachter auf einer pro-palästinensischen Kundgebung wurde er attackiert und verletzt.

Persönlichkeitsschutz contra Meinungsfreiheit im Zentrum der Plädoyers

In ihrem Plädoyer stellt die Staatsanwältin klar, dass es keinen politischen Austausch zwischen den Opfern und dem Angeklagten gegeben habe, es habe „keinen Anlass gegeben, nur das Aussehen hat gereicht“, und damit meint sie das Tragen der Kippa. Sie unterstellt dem Angeklagten somit einen „antisemitischen Beweggrund“ und räumt damit dem Persönlichkeitsschutz der Opfer Vorrang ein vor der Meinungsfreiheit des Angeklagten. Sie fordert 60 Tagessätze zu je 70 Euro.

Die Verteidigung plädiert auf Freispruch und bezeichnet die antisemitische Einstufung als „höchst problematisch“, da ihrer Meinung nach die Meinungsfreiheit wichtiger ist: „Die politische Meinung zum Ausdruck zu bringen, hat nichts mit Antisemitismus zu tun.“

Richter Eichhorn folgt letztlich der Staatsanwältin und verurteilt den Angeklagten zu 60 Tagessätzen zu je 60 Euro. In seiner Urteilsbegründung bricht er aus der rein pro-palästinensischen Sichtweise aus und erwähnt erstmals in der Verhandlung den Angriff der Hamas auf Israel vom Oktober 2023, auch wenn dies „nicht Gegenstand der Verhandlung“ sei. Er stellt auch klar, dass es nicht Aufgabe des Amtsgerichts sei, darüber zu entscheiden, ob ein Genozid in Palästina nun stattfindet oder nicht.

Für Eichhorn bedeutet eine Anwesenheit auf einer Pro- oder Kontra-Veranstaltung nicht, „das ich alles unterstütze, was in Gaza passiert.“ Er sieht in den fraglichen Äußerungen des Angeklagten keine politische Motivation, die durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei, sondern vielmehr verletzte Persönlichkeitsrechte der beiden Opfer.„Dem Angeklagten muss gesagt sein, dass er über sein Ziel hinausgeschossen hat“, so der Richter.

“Israel lügt, Israel leugnet“ – und die Zeugen offenbar auch

Das Urteil wie auch die Worte des Richters zeigen beim Angeklagten aber offensichtlich keine Spur von Einsicht – ganz im Gegenteil „Scheiß drauf, das ist nicht viel Geld, das bekommen wir schon zusammen“, so der Verurteilte Yannik M. im Hinblick auf die 3.600 Euro Geldstrafe zuzüglich der Verfahrenskosten. Nur wenige Minuten nach der Urteilsverkündung gibt er in einer Rede im pro-palästinensischen Unterstützercamp in unmittelbarer Nähe des Amtsgerichts auch bekannt, dass sie in Berufung gehen werden.

Die beiden Zeugen hätten vor Gericht eine Taktik angewendet, so der Verurteilte Yannik M, „die wir von Israel kennen (…) Israel lügt (…) Israel leugnet.“ Seine Niederlage vor Gericht begründet er ferner mit einem schizophren Justizsystem in Deutschland, Gleichheit vor Gericht sei völliger Quatsch. „Wenn das Recht gegen uns ist, ändert das nichts an unserem Aktivismus.“

Täter-Opfer-Umkehr des Angeklagten

Yannik M. stilisiert sich in seiner Rede vom (noch nicht rechtskräftig) verurteilten antisemitischen Täter zum offensichtlich nationalsozialistischen Opfer: „In Deutschland gab es schon einmal Zeiten, in denen Leute wie wir politisch verfolgt wurden, eingesperrt wurden. Und vielleicht kommen diese Zeiten wieder,.wir wissen es nicht.“

Doch davon lasse er sich nicht einschüchtern, sagt er unter dem Applaus der wenigen noch anwesenden Unterstützer: „Und wenn wir irgendwann verboten werden, auch wenn die Polizei von ihren Vorgesetzten den Auftrag bekommt, uns wegzuknüppeln, auch dann werden wir weiterhin auf die Straße gehen. Auch wenn wir ins Gefängnis müssen.“

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